: Dossier aus dem Copyshop
Schwerer Packen, leichter Stoff: Die „Dokumentation“ von Schröder für Köhler taugt kaum als Beleg für Neuwahlen
VON ULRIKE WINKELMANN
Am Tag, da der Bundespräsident Horst Köhler seine Zustimmung zu Neuwahlen erklärte, wurde im Bundestag auch ein Stapel Kopien ausgeliefert. Das „Dossier“, später „Dokumentation“ genannt, liegt für die rot-grünen Parlamentarier seit dem 21. Juli zur Einsicht bereit – falls sie sich dafür interessieren sollten, warum ihr Parlament aufgelöst wird.
Die 235 Seiten kopierter Zeitungsartikel sind Beweismaterial vom Kanzleramt. Hiermit will Bundeskanzler Gerhard Schröder gegenüber dem Bundespräsidenten belegt haben, warum er am 22. Mai, nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen, nicht mehr weiterregieren konnte. Nur die konkrete juristische Begründung wird immer noch unter Verschluss gehalten.
Die wenigen Abgeordneten, die sich bislang um das Dossier geschert haben, dürften sich wundern. Der schwere Packen ist aus leichtem Stoff: Er zeichnet das Bild des allgemein gestressten rot-grünen Alltags vor der NRW-Wahl. Nichts aber geht über die bekannten Mutmaßungen vom Wesen linker oder grüner Attacken auf den Kanzler hinaus.
Vier Kapiteln sind jeweils Zitate aus der Kanzlerrede vom 1. Juli im Bundestag vorangestellt. Der erste Block befasst sich mit Schröders Aussage, er brauche für seine Agenda 2010 eine „Legitimation durch Wahlen“. Gesammelt sind hier vor allem Kommentare, die nach dem Sturz der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) im Februar der Bundesregierung „Handlungsunfähigkeit“ attestieren.
So fordert etwa die Freie Presse (Chemnitz) den „kollektiven Rücktritt“, der Stern-Kolumnist nicht weniger als einen „Urknall der Erneuerung“. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung behauptet, dass ja auch schon Ausbildungsabgabe und Antidiskriminierungsgesetz nicht etwa nur an der Union, sondern auch an den SPD-geführten Ländern im Bundesrat gescheitert seien. Der Kanzler selbst dürfte allerdings wissen, dass die SPD-Ministerpräsidenten nicht ohne seine Zustimmung gegen diese linken Herzensangelegenheiten gewettert haben.
Die Bild am Sonntag taucht auf, die am 20. März den FDP-Chef Guido Westerwelle und den CDU-Vize Christoph Böhr mit der Forderung nach Neuwahlen zitiert. Es könnte ja jemand vergessen haben, wer die Idee als Erster hatte – nämlich nicht der Stern-Kolumnist, der im April die Neuwahlen dann auf September festlegt.
Der zweite, dickste Themenblock befasst sich mit den von Schröder angeführten „inneren Spannungen“ in seiner Koalition. Hier werden auch längst vergrabene Konflikte wieder angerührt – inklusive einer winzigen rot-grünen Verwerfung Ende Januar um Geld für den Nahverkehr. CDU-Generalsekretär Volker Kauder erklärt, eine vergurkte Abstimmung über eine Gleichstellungsproblematik sei ein Beweis, „dass sich Rot-Grün im Auflösungsprozess befindet“. In Spiegel-Artikeln wird Franz Münteferings „Heuschrecken“-Kritik gewürdigt – mit der heute bizarren Behauptung, der SPD-Chef wolle Schröder entmachten.
Eine besondere Rolle im „Spannungs“-Kapitel spielt die Parteilinke Andrea Nahles. Von ihr liegt ein kleiner Essay in spw – sozialistische Politik und Wirtschaft bei. Darin erklärt sie: „Voraussetzung für eine solidarische Reformperspektive ist die Abkehr von einseitig angebotsorientierter Politik, wie Clement, Eichel & Co. sie betreiben.“
Nahles, derzeit plakateklebend im Wahlkampf unterwegs, erklärte gestern der taz, es sei nach wie vor „lächerlich“, ihr eine Schuld an den Neuwahlen zuzuschieben. „Jeder, der sich ein bisschen auskennt, weiß, dass das an den Haaren herbeigezogen ist.“ Im Übrigen „bin ich nicht im Bundestag“ – sie konnte also auch keine Koalition gefährden.
Anders der Bundestags-Quertreiber Ottmar Schreiner. Er hat zwar schon x-fach dementiert, dass es je ein Geheimtreffen zwecks Putsch gegeben habe. Auch verweist er stoisch darauf, dass die rot-grüne Mehrheit noch immer zustande gekommen sei. Doch hat Schreiner mehrfach offen gelassen, ob er vielleicht auch allein zur Linkspartei spränge: „Noch kämpfe ich“ – für einen Schwenk in der SPD-Linie, sagte er Mitte Mai im Spiegel. Ein Einzelübertritt hätte freilich Rot-Grün auch nicht ruiniert. Gestern erklärte Schreiner der taz: „Ich habe immer bloß bekannte Parteienforscher zitiert. Demnach muss die SPD selbst dafür sorgen, dass neben ihr keine Linkspartei entsteht. Niemand will eine Linksabspaltung der SPD, habe ich gesagt.“ Gegenwärtig wahlkämpft Schreiner als SPD-Spitze an der Saar.
Das dritte Kapitel über die SPD-Mitglieder, die laut Schröder „damit drohten, sich einer rückwärts gewandten, linkspopulistischen Partei anzuschließen“, liefert so auch nichts Neues über Schreiner. Es ist im Wesentlichen Oskar Lafontaine gewidmet. Der hat aber mit mit Schröders Regierungsfähigkeit bis heute nichts zu tun. Das vierte Kapitel schließlich handelt von den die Außenpolitik „gefährdenden Stimmen“. Doch dem kritischen Brief an Russlands Präsidenten Wladimir Putin, den auch Grünen-Chef Reinhard Bütikofer unterschrieb, sowie dem Streit über das Waffenembargo gegen China können selbst die angeführten Berichte keinen koalitionsgefährdenden Charakter zumessen.
Der Grüne Werner Schulz, der vorm Bundesverfassungsgericht gegen die Neuwahl klagt, sieht sich von dem merkwürdig seichten Dossier bestätigt. Es belege nur die grundgesetzwidrige Willkür Schröders – und noch etwas: Das Dossier „dokumentiert das großkoalitionäre Handeln und Ansinnen des Kanzlers“, sagte Schulz gestern zur taz.