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Archiv-Artikel

Bezugspunkt Spree

„Outdoor Locations“ sprießen im Sommer aus dem Boden – vornehmlich in Ufernähe der Spree. Wandte die Bebauung ihr früher den Rücken zu, so ist sie inzwischen in den Mittelpunkt gerückt

Großzügig gestaltete „Räume“, in denen sich Gäste leger in den Sand setzen oder auf kubistisch wirkenden Holzsesseln räkeln

VON MICHAEL KASISKE

Steigen die Temperaturen, drängt der Großstädter seit je aus seinen vier Wänden nach draußen. Zu diesem Behufe bietet Berlin zahlreiche „Outdoor Locations“ – ein treffender Anglizismus, der zwischen der übergeordneten Weltläufigkeit der Stadt und ihren wechselnden Nischen eine sprachliche Brücke schlägt. Denn Berlin ist, das zeigen gerade diese Orte, voll von stadthistorisch bestimmten Qualitäten, die unvermittelt im Alltag erkennbar werden.

Wie etwa beim „Kiki Bloberg“ an der Köpenicker Straße, das sich mit einer Terrasse, einem Bootshaus, einer Feuerstelle und einem Strand auf die Spree ausrichtet. Diese durch Büsche voneinander getrennten, recht großzügigen „Räume“, in denen sich Gäste leger in den Sand setzen oder auf kubistisch wirkenden Holzsesseln räkeln, waren bislang nicht mehr als eine Leerstelle zwischen dem Deutschen Architekturzentrum und der Uferkante. Nebenan ragt eine Ruine in den Himmel. Hier hatte nach dem Fall der Mauer der Vorläufer vieler Clubs der 1990er-Jahre sein Domizil, der „Planet“. Wo jetzt nach rechts zum „Kiki Bloberg“ abgebogen wird, tauchte man schon vor über einem Jahrzehnt in die Welt dröhnender Technobässe und abgedrehter Wasserhähne.

Von derlei subversiver Vereinnahmung ist die Strandbar Mitte weit entfernt. Seit Juni 2002 zelebriert die erste aller Spreeufer-Gastronomien das Ibiza-Flair mit Sandstrand und Liegestühlen. Den Monbijoupark im Rücken, die Museumsinsel als Aussicht, floriert hier ein stets frequentierter Betrieb, der für die Touristen eine in der Hauptstadt längst vergangen geglaubte, Provisorien huldigende Mentalität wiederauferstehen lässt. Anders ausgedrückt: Lustvolle „Zwischennutzung“ jenseits von Theorien und Katalysatoren.

Ein Nachfolger, der BundesPresseStrand, liegt nicht einmal direkt am Wasser, wohl aber – auch unabhängig von dem spektakulären Verbinden der Bügelbauten am Lehrter Bahnhof – in dem am stärksten besuchten Bereich der Spree. Der Rand des Regierungsviertels scheint als Zentrum der politischen Aktivitäten Deutschlands einen genauso großen Reiz zu haben wie etwa in Washington das Weiße Haus.

Dabei spielte bis ins 20. Jahrhundert die Spree – abgesehen von dem repräsentativen Bereich um Stadtschloss und Museumsinsel – keine Rolle im Stadtbild. Im Gegenteil, die Bebauung wandte dem Wasser schon aus funktionalen Gründen den Rücken zu: Der Fluss war primär ein Transportweg und diente den vorzugsweise an seinen Ufern gelegenen Industriebetrieben zur Ver- und Entsorgung.

Eine Ausnahme bildet der Treptower Park, wo das „Haus Zenner in der Eierschale“ liegt. Der Name verkehrt freilich die Tatsachen: Das Haus Zenner ist eine so genannte Traditionsgaststätte, die schon auf eine hundertjährige Geschichte zurückblicken kann. Das ursprüngliche Gebäude wurde im Krieg zerstört, dann von Hermann Henselmann – später Architekt des „Hauses des Lehrers“ und des Fernsehturms – wieder aufgebaut. Noch Anfang der 1990er-Jahre tanzten in dem großen, zentralen Raum Senioren zur Musik uniformierter Kleinkapellen. Mit der Eierschale wurde der lichte Saal mit allerlei Bars und Tresen vollkommen verstellt. Nur wer an die Decke schaut, ahnt etwas von der Pracht, die der Raum in der Nachkriegszeit hatte.

Im Biergarten hingegen herrscht ein im positiven Sinn volkstümliches Treiben. In der Sommerfrische des Hauses Zenner mischt sich die Bevölkerung aus den angrenzenden Wohngebieten mit den Ballspielern und Sonnenanbetern aus dem Park, die sich aus Kreuzberg, Neukölln, Treptow und Friedrichshain hier einfinden. Auf einer Bühne werden deutsche Schlager gespielt, zu denen auf der Tanzfläche Alt und Jung hüpfen. Die Senioren, die ehedem noch im gewohnten Tanzschritt über das Parkett zogen, haben sich sichtbar frei getanzt.

Ein Stück Berliner Gartenkultur erlebt man hingegen im „Café am Engelbecken“, das von der wiederhergestellten „Barth’schen Planung“ zehrt. Der Stadtgartendirektor Erwin Barth hatte 1928 den im Vorfeld des Baus der heutigen U-Bahn-Linie 8 zugeschütteten Luisenstädtischen Kanal als öffentliche Gartenanlage gestaltet. Die Kaimauern begrenzen das nun tiefer liegende Engelbecken, in dem eine Fontäne von der Transformation des einstigen Wasserweges zum Schmuckgewässer zeugt. Dieser Strahl durchfeuchtet bei entsprechender Windrichtung die Gäste des Cafés, trotz des Schilfs, das die Wasserfläche vom Holzdeck trennt. An Einzeltischen oder auf den Seiten an langen Tische und Bänken sitzend, sind die Gäste aus der Stadt wortwörtlich in eine grüne Oase hinabgetaucht.

Eine Kultur jenseits von Planung und Gestaltung prägt den „Club der Visionäre“. Vor 1989 wurde dort eine kleine Fischzucht betrieben, die im Schatten der Mauer bereits auf dem Grund der DDR stand. Ein einst verwunschener Winkel, der so romantisch war, dass ich ihn 1986 als junger Eleve Westberlins fotografierte. Bei Betrachtung des Kontaktabzugs scheint sich gestalterisch nicht viel verändert zu haben, und doch ist alles anders: Die abgeschiedene Randlage ist zu einem Mittelpunkt geworden.

Unter den Freiluftgastronomien, die sich am einstigen Ausgang Berlins konzentrieren, soll das Heinz Minki nicht unerwähnt bleiben. Es ist eines der vierzehn Steuerhäuser, die 1859 errichtet wurden. Im letzten Jahr wurde in dem alten Garten ein Biergarten eröffnet, in dem die Reste des einstigen Nutzgartens dank der Obstbäume noch erkennbar geblieben sind.

Die Revue der Outdoor Locations erinnert merkwürdig an die Atmosphäre von Westberlin, die sich nunmehr auf das ganze „Großberlin“ ausgeweitet hat. 1989 eröffnete sich das Umland und lud zu Fahrten nach „janz weit draußen“ ein, wie sie die Ausflügler vor dem Zweiten Weltkrieg gemacht hatten. Gegenwärtig bietet die Stadt wieder aufregende Freiräume und genügt – wie einst Westberlin – ganz sich selbst. Echt schön, eine ganze Welt zum Hierbleiben.