: Holperstolper
Hirnforschung für alle, aber leider ohne Spannung: „Furor“, ein Thriller des Biologen und Wissenschaftsjournalisten Markus C. Schulte von Drach
Der renommierte Hirnforscher Christian Raabe wird in seinem Münchner Institut mit zertrümmertem Schädel auf dem Dach eines Fahrstuhls gefunden. Selbstmord, heißt es sogleich, nachdem die Polizei den Tatort flüchtig untersucht hat. Doch Sebastian, Raabes Sohn, kann es nicht fassen. Zwar hatte er zu Lebzeiten keinen guten Kontakt zu seinem Vater, doch an Selbstmord zu glauben fällt ihm schwer. Seltsam auch die Nachricht, die Raabe kurz vor seinem Tod auf Sebastians Handy hinterlassen hat und in der er ihn bittet, einen bestimmten Dateiordner auf seinem Rechner zu löschen. Was enthält dieser Ordner? Und wie soll Sebastian an das richtige Passwort kommen?
Ein guter Thriller oder Krimi lebt vor allem von Spannung. Diese wird zu einem wesentlichen Teil durch die gezielte Verteilung von Wissen und Nichtwissen an Leser und Romanfiguren erzeugt. Mal brennt der Leser darauf, zu erfahren, was eigentlich jenes schreckliche Geheimnis ist, das eine bestimmte Figur umtreibt, mal hält man es kaum aus, früher als der Held von einer großen Gefahr zu wissen, die diesem droht. Das ist ähnlich wie im Kasperletheater, aber es muss etwas raffinierter gemacht sein. Erwachsene halten mehr Spannung aus als Kinder, und sie sind oft auch ein bisschen schlauer. Ein richtig guter Thrillerautor ist man erst, wenn man es geschafft hat, die Geheimrezeptur für genau die richtige Mischung aus Wissen, Nichtwissen, Action und Erotik zu finden, auf die Erwachsene abfahren. Leider muss man dafür wahrscheinlich sehr viel üben. Auch ein Dan Brown, über dessen Gigabestseller „Sakrileg“ nun schon gelehrte Fernsehfeatures abgehalten werden, schrieb langatmige, actionüberfrachtete Schinken voll überflüssiger Verfolgungsjagden, bevor er endlich die magische Formel fand.
All das muss man dem promovierten Biologen und Wissenschaftsjournalisten Markus C. Schulte von Drach zugute halten, der mit dem Thriller „Furor“ gerade im Spannungsgenre debütiert hat. Wie so viele andere hat Schulte von Drach das Genre wohl schlicht unterschätzt. Sein Erstling konzentriert sich so stark darauf, ein wissenschaftliches Thema – die Hirnforschung – zu popularisieren, dass die Thrillerdramaturgie leider im frühen Kasperletheaterstadium stecken bleibt.
Auch wer in seiner Krimileserkarriere nie über Enid Blytons „Geheimnis um …“-Serie hinausgekommen ist, dürfte schon nach den ersten zwanzig Seiten wissen, worauf das Ganze hinauslaufen muss und wer der Verräter ist – ganz im Gegensatz zum Helden des Buches, dessen komplette Ahnungslosigkeit fast bis zum Schluss anhält und ziemlich künstlich aufrechterhalten wird. Die quälend lange, unspannende Suche nach dem richtigen Passwort nervt genauso wie das regelmäßige Auftauchen eines auffällig unauffälligen Mannes in Sebastians Nähe, der den Verfolger aber genauso regelmäßig übersieht, obwohl er mehrfach vor einem solchen gewarnt wird. Einem Kinderkrimi wäre diese naive Treuherzigkeit beim Legen der Fährten vielleicht gerade noch angemessen. Aber dass diese Zielgruppe nicht angesprochen sein soll, zeigt der thematische Überbau des Ganzen, in dem es um ziemlich finstere Menschenxperimente mithilfe der Hirnforschung geht. Ein ernstes Thema, fürwahr. Doch von Drach gelingt es nicht, es für die Handlung fruchtbar zu machen, die ungelenk vor sich hin stolpert, um schließlich in eine Reihe von faden Actionszenen auszulaufen. Schade! Aber, wie gesagt, auch Dan Brown hat mal klein angefangen.
KATHARINA GRANZIN
Markus C. Schulte von Drach: „Furor“. Thriller. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, 358 Seiten, 14,50 Euro