: Tschechiens turbulente Technokrise
Die Polizeigewalt gegen tschechische Technofans vor einer Woche zieht immer neue Proteste nach sich – und auch politische Kontroversen. Konservative Opposition hält die Bürgerrechte hoch, sozialdemokratische Regierung steht in der Defensive
AUS PRAG ULRIKE BRAUN
Die Proteste in der tschechischen Hauptstadt gegen den brutalen Polizeieinsatz gegen die Teilnehmer der Technoparty Czechtek vergangene Woche gehen weiter. Für heute ist eine weitere Demonstration vor dem Prager Innenministerium angekündigt, die inzwischen vierte innerhalb einer Woche. Protestiert wird gegen die Brutalität der tschechischen Polizei, die das semilegale Festival vergangenen Samstag mit Wasserwerfern, Tränengas und Knüppeln beendete, inzwischen auch in anderen tschechischen Städten sowie vor tschechischen Botschaften im Ausland. Vor der tschechischen Botschaft in Berlin ist für heute eine Demonstration angekündigt.
Immer neues Bildmaterial stellt die Brutalität der Polizei unter Beweis – Videoaufnahmen zeigen zum Beispiel, wie ein Polizist einem Czechtek-Teilnehmer eine Pistole an den Kopf hält oder wie zwei Polizisten in einen am Boden liegenden Technofan treten, der von vier ihrer Kollegen festgehalten wird. Die konservativen Bürgerdemokraten ODS bemühen sich, für das brutale Verhalten der tschechischen Bereitschaftspolizei den sozialdemokratischen Premierminister Jiri Paroubek verantwortlich zu machen. Der hatte am Tag vor dem Polizeieinsatz gegenüber der Nachrichtenagentur CTK erklärt: „Ich habe dem Innenminister gesagt, er solle in dieser Sache so rasant wie möglich vorgehen. Falls die sich da weiter auf die Autobahn legen [die Polizei hatte die Zufahrt zum Veranstaltungsort abgesperrt, was zu Protesten geführt hatte – Anm. d. Red.], sollen sie sie in Busse packen, über die Grenze schicken, raus aus dieser Republik.“
Der Polizeieinsatz auf der Technoparty, so die ODS, sei also von Paroubek selbst angeordnet worden. „Ich bin überzeugt, dass der Einsatz zweifellos von einem öffentlichen Aufruf des Premierministers ausging“, sagte der Vorsitzende des tschechischen Oberhauses, Premysl Sobotka (ODS), und sprach von „herkuleischen Gesten“. Ein „grober Fehler“ sei die Polizeiaktion gewesen, erklärte auch der Ehrenvorsitzende der ODS, Staatspräsident Václav Klaus.
Paroubek, der wegen der Technokrise seinen Alpenurlaub in Österreich abbrechen musste, kontert, der Einsatz sei notwendig gewesen, weil der Staat das Eigentum seiner Bürger, in diesem Fall Felder und Wiesen, vor den Technofans schützen musste. Doch räumte er ein: „Sollte es von Seiten der Polizei zu Fehlern oder sogar zu Vergehen gekommen sein – und das ist bei dem Ausmaß der Aktion wahrscheinlich – muss die Inspektion des Innenministeriums und die Staatsanwaltschaft handeln.“
So absurd es erscheinen mag, dass die konservative ODS sich auf die Seite jugendlicher Technofreaks schlägt – es ist Realpolitik. In zehn Monaten stehen Parlamentswahlen ins Haus. Regierungschef Paroubek hat seinen Sozialdemokraten einen neuen Impuls gegeben, der sich auch in Wählerpräferenzen widerspiegelt. Die Technofans, die jegliche Politisierung ihrer Proteste ablehnen, müssen Acht geben, nicht als Wahlkampfthema missbraucht zu werden.