: Kampf um Wale, Lachse und Rentiere
3.500 Ureinwohner auf Sachalin wehren sich gegen die Ölmultis, die die größten noch unerschlossenen Energiereserven anbohren wollen. Das kann 1.100 Bäche verseuchen, fürchten die Bewohner – und hoffen auf Protest aus Deutschland
von HANNA GERSMANN
Alexei Limanso fürchtet um seine Existenz. Er wohnt im äußersten Nordosten Russlands auf der Insel Sachalin. Der 33-Jährige lebt vom Fischen. Doch liegen vor der Küste die größten Öl- und Gasvorkommen der Welt, die noch nicht erschlossen sind. BP, Exxon-Mobile und RoyalDutch/Shell wollen diese Reserven nutzen. Die 3.500 Ureinwohner haben nun eine weltweite Protestkampagne gestartet. Limanso, ihr Sprecher, kommt jetzt nach Deutschland, um für Unterstützung zu werben.
Vor der Insel Sachalin sollen in den kommenden Jahren mehr als 13 Millionen Barrel Rohöl gefördert werden. Ein Barrel entspricht rund 159 Liter. Es ist die größte Investition in der Geschichte Russlands: 100 Milliarden US-Dollar sollen in sechs Etappen, von „Sachalin 1“ bis „Sachalin 6“, fließen.
Limanso sorgt sich derzeit besonders um „Sachalin 2“. Ein Firmenkonsortium um Shell, das auf der Steueroase Bermudas angesiedelt ist, fördert dort bereits Öl. Nun will es zwei neue Plattformen errichten. Eine davon liegt in den Futtergebieten des vom Aussterben bedrohten Westpazifischen Grauwals. Baulärm, Erschütterungen und Lecks gefährden aber nicht nur ihn, sondern auch den dortigen Fischreichtum – Dorsch, Heringe und Schalentiere.
Zudem müssen Gas und Öl vom Norden Sachalins in den einzigen eisfreien Hafen im Süden gepumpt werden. Die Pipeline ist 800 Kilometer lang. Sie wird mehr als 1.100 Flüsse und Bäche schneiden, die als Laichgebiete des Lachses gelten. Gleichzeitig zerstört sie die Weideflächen von Rentieren.
Das von Shell geführte Ölkonsortium investiert dennoch. „Dieses Jahr geben wir 100 US-Dollar pro Sekunde aus“, wird deren Programmchef auf Sachalin, David Geer, im Internet zitiert. Für die Produktion von einem Barrel Öl, veranschlagt Shell derzeit bis zu 6 US-Dollar. Sachalin 2 wird allerdings teurer als erwartet. Der Konzern hatte mit 10 Milliarden US-Dollar kalkuliert. Vor wenigen Wochen räumte er dann ein, dass sich die Kosten auf 20 Milliarden US-Dollar verdoppeln. Zudem liegt das Projekt schon acht Monate hinter dem Zeitplan zurück. Ende Juli hat ein Gericht in Sachalin nun noch eine neue Umweltstudie gefordert. Umweltschützer hatten sie eingeklagt.
Shell, wegen geschönter Ölreserven in Verruf geraten, steht unter Druck. Diesen will Limanso jetzt verstärken. Die Ureinwohner Sachalins, die Niwchen, Nanai, Oroken, Orotschen und Ewenken, haben bereits bei minus 30 Grad Celsius Baustellen besetzt und Zufahrten blockiert.
Limanso fordert für alle Sachalin-Projekte unabhängige Umweltgutachten. Zudem sollen die Ölkonzerne einen Fonds einrichten, um Alternativen zur traditionellen Fischerei und Rentierjagd zu entwickeln. Und: Sie rufen alle Staaten dazu auf, keine öffentlichen Gelder in das Ölgeschäft zu stecken. Shell will für Sachalin unter anderem einen Kredit von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung aufnehmen.
Shell-Sprecher Simon Buerk in London kann die Aufregung nicht verstehen: Seit 1992 würde man gemeinsam mit den Ureinwohnern über das Energieprojekt beraten. „Allein 2005 geben wir 110.000 US-Dollar für Entwicklungsprogramme aus.“ Sogar ein Anthropologe sei extra eingestellt worden, um die Kultur- und Bildungsprogramme zu begleiten. Hinzu kämen weitere 300 Millionen Dollar für Brücken, Straßen, Flughäfen oder Krankenhäuser. „Wir halten uns genau an den Entwicklungsplan der Weltbank.“
Alexei Limanso ist Gast bei der Tagung „Lebensräume indigener Völker schützen“ in Iserlohn vom 26. bis 28. August. Anmeldung unter: www.kircheundgesellschaft.de/veranstaltungen