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Archiv-Artikel

Revolution der lesenden Spatzen

PULP FICTION Der Buchmarkt ist wie ein Ozean großer geschäftlicher Chancen: Wie in China am laufenden Band Bestseller produziert werden

Buchland China

■  China ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse, die am Dienstag eröffnet wird. Um einen Eklat um die offizielle chinesischen Delegation auf einem Symposium und eine verweigerte Ausreisegenehmigung für den Autor Liao Yiwu gab es im Vorfeld Debatten. Das Ehrengast-Programm: www.buchmesse.de/de/fbm/programm/ehrengast/2009/

■  Grundlegende Informationen zu Chinas Buchmarkt hat das Buchinformationszentrum Peking zusammengestellt. Es ist seit 1998 als Vertretung der Frankfurter Buchmesse im Goethe Institut Peking tätig. Infos: www.peking.buchinformationszentrum.org/de/buchmarkt_china/

VON JUTTA LIETSCH

Sie ist der Schwarm von Millionen chinesischer Mädchen: die 20-jährige Schriftstellerin GirlneYa. Ihre Leserinnen sind zehn bis dreizehn Jahre alt, nennen sie wegen ihrer Schönheit „Prinzessin“ und warten stets sehnsüchtig auf die nächste Folge ihrer Romane. Die tragen Titel wie „Ein Spatz will Revolution“, „Straße der Engel Nr. 23“ oder auch „Herzklopfen und Liebe“.

Hinter dem ausländisch klingenden Namen GirlneYa verbirgt sich eine in Schanghai lebende Autorin, die nicht nur sehr jung, sondern auch ungewöhnlich produktiv ist: Seit drei Jahren veröffentlicht sie jährlich vier bis sechs Bücher – in Auflagen, von denen andere Autoren nicht einmal zu träumen wagen. Über 300.000 Exemplare werden jeweils verkauft. Ihr Verleger nennt sie deshalb zufrieden: „Mein Hundert-Millionen-Yuan-Mädchen.“

Auf Chinesisch heißt sie Guo Ni, und sie hat es zu einer erstaunlichen Karriere gebracht. Bevor sie Bestsellerautorin wurde, war sie Schülerin, die gerne ihre Blogs ins Internet setzte.

Als GirlneYa ist sie eine Schöpfung von Lu Jinbo, einem der Superstars unter Chinas Verlegern. Wer etwas von der Vielfalt und Modernität der chinesischen Buchszene erahnen will, ist bei ihm an der richtigen Stelle: Für den 35-jährigen Lu ist die Zukunft wie ein Ozean großer geschäftlicher Chancen. Er gehört zu jenen, die vom Internet und den privaten Freiheiten geprägt sind, die Chinas KP ihren Untertanen neuerdings lässt – solange sie sich nicht politisch äußern.

Schon früh hat Lu die „Liebe zum Geld“, wie er sagt, mit einer großen Begabung kombiniert: „Ich weiß, was die Leute lesen wollen.“ Seine GirlneYa ist nur „eine von Hundert“ gezielt aufgebauten Bestsellerautoren.

Lu und seine Mitarbeiter haben auf diese Weise im vergangenen Jahrzehnt Millionen Bücher verschiedener Genres auf den chinesischen Markt geworfen. Dazu gehören neben Mädchenbüchern unter anderem Abenteuer-, Horror- und Geisterstorys für unterschiedliche Zielgruppen wie „Schuljungen bis 14“, „junge Männer ab 18“ oder auch „geschiedene Frauen“.

Lus eigene Geschichte beginnt wie die vieler Chinesen seiner Generation: Einen großen Teil seiner Jugend verbringt er im Internet. Als die ersten Internetcafés in den Neunzigerjahren eröffnen, surft er jede freie Stunde im Netz.

Bald betreibt er eigene Diskussionsforen, schreibt Kommentare und Essays. Seinen ersten Roman verfasst Lu, ein gut aussehender Mann mit schmalem Gesicht und Brille, „weil so was bei den Frauen gut ankommt“, wie er heute amüsiert sagt. Er gründet einen eigenen Verlag und veröffentlicht Bücher des auch im Ausland bekannten Schriftstellers Wang Shuo.

Zu seinen berühmtesten Autoren gehört heute der Schanghaier Rennfahrer und Schriftsteller Han Han. Das 27-jährige Allroundtalent gilt als erfolgreichster Blogger Chinas, seine Webseiten werden täglich millionenfach angeklickt. Zudem hat Han Han bereits über ein Dutzend Bücher geschrieben.

Über seine bissigen und scharfsinnigen Kommentare zu aktuellen Ereignissen freuen sich auch ernsthafte Kritiker, die ihn als eigenständige Stimme und literarische Hoffnung Chinas feiern.

Davon ist „Prinzessin“ GirlneYa weit entfernt, wie Verleger Lu freimütig einräumt. Hinter ihrem Erfolg steckt vielmehr ein gezieltes Konzept der Massenware – sorgfältig recherchiert und von ausländischen Vorbildern wie der 18-jährigen südkoreanischen Autorin Keai Tao (Niedliche Tao) inspiriert. Die benutzt in ihren Texten eine Mischung aus Schriftzeichen und Symbolen wie Smiley-Gesichter oder Herzchen. „Mädchen mögen so etwas“, sagt Lu, „die haben ihre eigene Logik.“

Es gibt ganz verschiedene Zielgruppen: „Schuljungen bis 14“, „junge Männer“ oder „geschiedene Frauen“

GirlneYa ist besonders hübsch: „Das war eine Bedingung, als ich mir eine passende Autorin im Internet suchte“, sagt Lu. „Außerdem musste sie mit Sprache umgehen können.“ Er schulte sie für TV-Auftritte („immer lächeln und wenig sprechen“) und schickt ihr jeden Monat ein neues Exposé mit einer Rahmenhandlung.

Lu nennt ein Beispiel: „Ein hässliches Entchen wird zur schönen Prinzessin. Sie ist dick, das Lernen fällt ihr schwer, ihre Eltern und ihre Lehrer beachten sie nicht. Aber sie träumt davon, Sängerin zu werden. Mit einer Freundin übt sie unermüdlich. Am Ende hat sie Erfolg und wird anerkannt. Der Junge, den sie verehrt, wendet sich ihr zu.“

Geküsst wird aber nicht, von Sex darf keine Rede sein. „Dafür sind die Mädchen dieser Zielgruppe noch zu jung“, sagt Lu. Die Geschichten sind streng standardisiert: Jedes Buch hat einen Umfang von 100.000 Schriftzeichen. Darin kommen etwa zehn Personen und viele Comic-Symbole vor.

GirlneYas Bücher sind mittlerweile auch in Taiwan und Südkorea populär. Kritiker werfen ihr zwar vor, Geschichten von japanischen Comics abgekupfert zu haben. Doch das schadet dem Geschäft nicht.

In Europa dürfte GirlneYa unbekannt bleiben. Zur Frankfurter Buchmesse wird sie nicht erwartet. Ihre Bücher sind weder ins Deutsche noch ins Englische übersetzt. Lu: „Dort ticken die Mädchen anders. Sie wollen nicht, wie in China, immer die Konkurrentinnen ausstechen.“