piwik no script img

Archiv-Artikel

Ist Porno gucken okay?JA

SEXINDUSTRIE Am nächsten Wochenende eröffnet in Berlin die 13. „Venus“, die größte Fachmesse der Sexindustrie. Gleichzeitig wird der „Erste Feministische Pornofilmpreis“ verliehen. Porno ist überall

Corinna Rückert, 44, Kulturwissenschaftlerin und Autorin, ist Jurorin beim Feminist Porn Award

Die Frage könnte auch lauten: Ist Fleisch essen okay? Ja, im Prinzip ist es okay, weil es Teil der menschlichen Wesensart ist. Das trifft auch auf die Pornografie zu, die so alt ist wie die Kulturgeschichte des Menschen. Nicht in Ordnung sind dagegen Massentierhaltung oder entwürdigende Porno-Produktionsbedingungen. Wer also guten Gewissens Porno gucken will, sollte mit seinem Konsumverhalten Einfluss auf die Qualität nehmen. Nicht ein Verbot ist die Lösung, sondern die Förderung besserer Pornos, die den Massenproduktionen eine lustvolle Vielfalt sexueller Phantasien gegenüberstellen – und die unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt werden. In aufgeklärten feministischen Kreisen bringt diese Überzeugung seit fast 40 Jahren Pornografinnen hervor, die mit bunten, lüsternen, tabulosen Darstellungen für freien Umgang mit der Pornografie kämpfen. PorNO? PorYES!!!

Lisa Ortgies, 43, moderiert „Frau TV“ im WDR. 2008 war sie für zwei Monate „Emma“-Chefin

Ein erstes JA, denn nicht jeder Porno verknüpft systematisch Sex und Gewalt. Die altfeministische Definition hinkt schlicht dem Sprachgebrauch und dem Markt hinterher. Ein zweites JA, denn auch weibliche Geilheit erfreut sich manchmal am „Rein Genitalen“ und das sexuelle Selbstverständnis junger Frauen schließt auch Pornokonsum mit ein. Obwohl die Mainstreampornos eher auf abgestumpfte Männer als auf selbstbewusste Frauen zielen. Aber eine PorNo-Kampagne wie in der Emma, die 30 Jahre alte Pornofilme zitiert oder Stringtangas und Tarrantino-Filme in denselben PorNO-Topf wirft, ist genauso struktur- und ziellos wie die Angriffe linker Chaoten auf Luxusautos, weil die „irgendwie“ für Kapitalismus stehen. Die sinnvollste Guerillataktik sind alternative Pornos von Frauen, die den Markt von unten aufrollen. Und das Frauenbild in herkömmlichen Pornos muss im Sexualkundeunterricht thematisiert werden. Den Konsum kann man nicht verhindern.

Tarek Simon Choudhury, 25, Investmentbanker, hat seinen Beitrag auf taz.de gestellt

Ja, es ist absolut ok. Es ist sehr schön. Man(n) kann auch in einsamen Stunden wunderbar seiner eigenen Fantasie auf die Sprünge helfen und bestens entspannen. Auch kann es das Liebesleben mit der Partnerin oder demPartner sehr stimulieren und wieder in Fahrt bringen. Man muss es allerdings, wie alles im Leben, bedacht und in Maßen konsumieren. Auch ist es schädlich wenn zu junge Menschen schon Zugriff auf Pornos haben. Porno ist was schönes, sollte aber nicht noch gesellschaftsfähiger werden, da es sonst langweilig wird. Früher fand ich es schon heiß, nur eine nackte Frau zu sehen, heute ist das langweilig. Da brauch man schon mehr... Porno ist was schönes und „verbotenes“ und so sollte es bleiben.

Svenja Flaßpöhler, 34, Autorin („Der Wille zur Lust. Pornographie und das moderne Subjekt“, 2007)

Pornogucken ist ja nicht das Problem. Das Problem ist, dass unsere Leistungsgesellschaft selbst pornografischen Gesetzen gehorcht. Genieße!, so lautet der kategorische Imperativ des Spätkapitalismus. Wie die Pornodarsteller arbeiten auch wir unermüdlich am Bruttosozialprodukt größtmöglicher Lust. Darüber hinaus zeigt sich im Porno geradezu karikaturhaft ein Erfolgsdruck, den auch der Workoholic bestens kennt: Entweder du bringst es, oder du kannst gehen. Auch die visuelle Logik des Pornos ist längst zu einer etablierten Kulturtechnik avanciert. Biometrische Pässe, elektronische Versichertenkarte, Bespitzelung durch den Arbeitgeber: Es geht um vollständige Transparenz. Wer da panisch „Pornografisierung!“ kreischt und mit dem Finger auf Kinder zeigt, die Pornoszenen imitieren, verkennt das Problem: Der Porno ist nur Symptom, nicht aber Ursache gesellschaftlicher Probleme.

NEIN

Sabine Zurmühl, 62, Autorin, Filmemacherin, Mediatorin, Mitbegründerin der „Courage“

Eine attraktive, kluge und streitbare Freundin aus der Berliner Frauenbewegung arbeitete als Nutte. Das hat mich damals sehr irritiert und tut es eigentlich bis heute, weil ich die Tätigkeit, für Geld fremde Geschlechtsorgane ins eigene Geschlecht zu lassen, befremdlich und persönlichkeitsmissachtend finde. Bei den Debatten um Prostitution und Pornografie tat sich unweigerlich die alte Kluft auf zwischen der (behaupteten) Lust- und der(angeblichen) Frust-Fraktion. Lebenskonzepte, Körperempfinden, innere Freiheit, Abenteuerlust oder das, was dafür gehalten wird, Grenzüberschreitungen und sehr viel Sehnsucht standen und stehen da eigentlich auf dem Prüfstand. Ich selbst kann bei Pornografie nicht von mir absehen. Ich erlebe Pornografie als eher traurige Angelegenheit, in der Frauen wie Puppen behandelt werden, Kopf heruntergedrückt, an den Haaren hochgezerrt, herumgedreht, schlecht gestöhnt, die Männer schauen weg und lassen sich „behandeln“; letztlich würdelos für beide, für die Frauen aber zusätzlich eine Bestärkung des schlechtesten aller Frauenbilder, gegen die anzukämpfen für mich und viele meiner Generation immer noch notwendig und dringlich ist. Was soll ich als Frau dabei anschauen und lustvoll finden? Aktive Sexualität ist für mich etwas Anderes und Schöneres.

Wolfgang Büscher, 56, ist Buchautor und Sprecher des Jugendprojektes „Arche“

Die Mitarbeiter der Archen haben täglich mit den Auswirkungen des Pornokonsums zu tun. Schon kleine Kinder wachsen damit auf, weil die Eltern die einschlägigen Filme schauen und die Kinder das auch mitbekommen. Wir machen die Erfahrung, dass die Kinder später davon nur schwer wieder loskommen. Es ist wie eine Sucht, von der man nicht weiß, ob man sie jemals in den Griff bekommt. Mädchen und Jungs lernen, dass es bei der Liebe nur um den Körper geht und um nichts anderes. Sie verwechseln Sex mit Liebe, dabei verlieren viele die Fähigkeit für eine längere Partnerschaft. Mädchen und Jungs lernen, eigentlich wird alles auf den Körper reduziert, denn wann wird in einem Porno schon mal geheiratet? In den Gesprächen zu unserem Buch „Deutschlands Sexuelle Tragödie“ kannten so gut wie alle Jungendlichen Begriffe wie Gang-Bang und bareback, doch von Schwangerschaftsverhütung und dem Verhindern von Krankheitsübertragungen hatten sie noch nie etwas gehört. Schwangerschaften und Krankheiten kommen in Pornos so gut wie nie vor. In einem Porno sind alle Frauen willig, immer, rund um die Uhr. Da kann der Konsument schon mal Fiktion und Realität verwechseln. Pornos schauen ist ein Risiko, für alle Altersgruppen.

Fiona Mary Kennedy, 25, studiert Erziehungswissenschaften. Sie hat den Beitrag auf taz.de gestellt

Natürlich sind Sexualität und sexuelle Phantasien privat und sollten es auch bleiben. Aber beim Thema Pornografie geht es um mehr. Viele Pornos, zu denen auch Jugendliche leicht Zugang finden, verbinden die Elemente Sex, Macht und Gewalt, die natürlich Frauen zugefügt wird. Nach oder während sexueller Handlungen werden Frauen gefoltert, geschlagen und erniedrigt. Was außer Frauenhass drücken solche Filme aus? Pornografie vermittelt vor allem Jugendlichen, welche sich durch diese Pornos aufklären lassen, ein verzerrtes und gefährliches Bild von Sexualität. Menschen, die nicht erkennen, dass Pornografie zu weit in unsere Gesellschaft vorgerückt ist, sollten sich vielleicht mit Jugendlichen unterhalten und mit Jugendkultur beschäftigen: pornografische Musikvideos flimmern auf den Bildschirmen (Lieder wie „Sexy Bitch“ oder Songtexte wie „She always ready, when you want it she want it like a nympho“) das Playboybunny hängt ab dem Alter von 10 Jahren an der Zimmerwand und wird auf T-Shirts getragen, 13 Jährige machen sich über Intimrasur Gedanken, es werden „Pole-Dancing Courses“ oder „Stripkurse“ besucht (dies ist in England unter jungen Frauen gerade sehr beliebt). Diese Entwicklungen gehen einfach zu weit.