Die Agenda 2009

Linkspartei pur: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine präsentieren die Vorstellungen von einer gerechteren Gesellschaft

AUS BERLIN ANNA LEHMANN

Wenn sich das politische Gewicht einer Partei nach der Anzahl der Kameras bei öffentlichen Auftritten bemäße, dann hätte die Linkspartei mit SPD und Union längst gleichgezogen. Als Gregor Gysi und Oskar Lafontaine gestern zur Vorstellung des Wahlprogramms schritten, verschwanden sie minutenlang hinter einer Wand aus Fotografen. Wie schwergewichtig sie sind, bescheinigten ihnen gestern aber auch die Demoskopen: Erstmals liegen Linkspartei, SPD und Grüne in den Umfragen gleichauf mit Schwarz-Gelb.

Und während sich zur gleichen Zeit in Kassel die SPD-Granden beeilten, jeder Form von Rot-Rot-Grün eine Abfuhr zu erteilen (siehe Text unten), ließen die Spitzenkandidaten der Linkspartei in Berlin noch ein bisschen Raum für Spekulationen, auch wenn Gregor Gysi eine Tolerierung von Rot-Grün „2005 und in absehbarer Zeit“ für ausgeschlossen hält. Denn so eindeutig wollte sich Lafontaine nicht festlegen, eine Zusammenarbeit richte sich nach inhaltlichen Gesichtspunkten. „Aber zurzeit sehe ich keine Bündnispartner für unsere Politik.“ Konkret werde die Linkspartei als Erstes gegen die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan stimmen, kündigte Lafontaine an.

Mittelfristig werden die inhaltlichen Gesichtspunkte aber von Gysis Partei vorgegeben. PDS-Strategen haben das Wahlprogramm entworfen, Ende August wird die Basis abstimmen. Eine bessere Gesellschaft soll her, in der Schwache nicht mehr schwach, Arbeitssuchende nicht länger arbeitslos bleiben. Als Einstieg fordern die Linken einen gesetzlichen Mindestlohn von 1.400 Euro brutto im Monat, eine Grundsicherung von 750 Euro netto und eine Mindestrente von 800 Euro. Aber: „Diese Forderungen sind alle nicht in einer Legislaturperiode umsetzbar“, so Gysi.

Erst mal will die Linkspartei Geld beschaffen. Deshalb steht im Zentrum des roten Wahlprogramms ein Steuerkonzept, das die Einkommensteuer nach dem Motto „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ reformiert. Erst ab 15.000 Euro Jahreseinkommen müssen die Steuerzahler zunächst 15 Prozent an den Staat abführen. Für Spitzenverdiener ab einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro soll ein Satz von 50 Prozent gelten. Damit keiner entwischt, werden das Bankgeheimnis gelüftet und Dividenden, Zinsen und Kapitalerträge bei der Einkommenserrechnung erfasst. Steuerschlupflöcher werden außer für Pendler und Schichtarbeiter gestopft. Die Linkspartei erwartet am Ende in der Einkommensteuer-Bilanz eine Null. Gysi ist optimistisch, dass das funktioniert: „Es ist doch ein Kurzschluss, zu denken, wer links ist, muss arm sein. Wir versuchen alle Besserverdienenden zu gewinnen“, sagte Gysi – gewinnend lächelnd.

Für weitere Einnahmen in der Staatskasse sollen darüber hinaus Steuern auf Vermögen – ab 300.000 Euro – und Unternehmensprofite sorgen. Auf genaue Zahlen legt sich die Linkspartei nicht fest, im Entwurf heißt es nur, die Unternehmen hätten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit einen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens zu leisten. Mit Abgaben auf Spekulationsgewinne und einer Börsensteuer summieren sich die Einnahmeerwartungen der Linken auf insgesamt 64 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr.

Mit diesem Geld will die Linkspartei einerseits die Staatsfinanzen sanieren und andererseits Nachfrage und Wachstum ankurbeln. Der Keilriemen dafür: ein öffentlicher und gemeinnütziger Beschäftigungssektor vorrangig für all jene, die heute noch Arbeitslosengeld II beziehen. Die Lohnnebenkosten will die Linkspartei den Niedriglöhnern vom Staat sponsern lassen und langfristig, also erst nach 2009, durch eine Wertschöpfungsabgabe ersetzen. Je effektiver ein Unternehmen wirtschaftet, desto mehr muss es dem Staat überlassen.

Klingt revolutionär, aber mit ihrem Programm bewegen sich die Linkssozialisten nicht quer zum gemäßigt linken Mainstream. Auffällig sind vor allem die Parallelen zum Wahlprogramm der Grünen. Beide Parteien plädieren für ein ökologisches Wirtschaftswachstum, eine Senkung der Lohnnebenkosten im Bereich unterer Einkommen, eine Bürgerversicherung und für die Anhebung des ALG II auf 420 Euro.

Und Gysi und Lafontaine haben auch die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Sozialdemokraten sich ändern. Obwohl sie Bündnisse derzeit ausschließen – „nach 2009 kann das schon ganz anders aussehen“, so Gregor Gysi.