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Archiv-Artikel

Auf die Barrikaden gegen Mikrotesla und Wechselstrom

DIE INI (II) Die Initiative „Pro Erdkabel“ wehrt sich gegen gigantische Stromtrassen im Harz

Die Norddeutschen engagieren sich in Bürgerinitiativen gegen Verkehrsprojekte, für Tiere oder gegen Datenmissbrauch – mal laut und knallig, mal leise und beharrlich. Diese Serie stellt in loser Folge die Menschen hinter den Initiativen vor.

Wolfgang Schulze sitzt gemeinsam mit Ralf Messerschmidt und Jost Bernotat in seinem Wohnzimmer in Billerbeck im Harzvorland. Würden die drei Rentner nicht letzte Details für die nächste Demonstration besprechen, könnten sie den Blick ins Tal genießen – und auf eine Freiluftstromleitung, die sich ein paar hundert Meter weiter den Berg hinunterzieht. An den Anblick der 30 Meter hohen Masten hat sich der 64-jährige Schulze längst gewöhnt. Woran die Männer sich nicht gewöhnen wollen, ist der Gedanke an eine neu geplante Trasse.

„Wir sollen Hochspannungsleitungen mit Masten bis zu 80 Meter Höhe bekommen“, sagt Schulze. Die wären doppelt so hoch wie der nahe gelegene Gandersheimer Dom. Bei Wechselstrom müssten die Masten so hoch sein, weil die Leitungen sich erwärmen und gekühlt werden müssen. Schulz und seine Mitstreiter von „Bürger Pro Erdkabel Harzvorland“ wollen sie trotzdem nicht, auch wenn sie weder Stromleitungen noch den Netzausbau ablehnen, den die Energiewende erfordert. Sie wollen Kabel in der Erde.

Schulze arbeitete früher in der Verwaltung der Deutschen Bahn, hatte mit Strom nichts zu tun. Heute besucht er immer wieder Fachkongresse, ist inzwischen ein Experte auf dem Gebiet der Stromleitungen. Und weiß, dass es auch ohne Riesenmasten geht, wenn man auf Gleich- statt Wechselstrom setzt. Bei Gleichstrom erwärmen sich die Leitungen kaum, die Kabel könnten in einer Tiefe von 1,50 Metern verlegt, der Boden darüber landwirtschaftlich genutzt werden. Auch die elektromagnetische Strahlung, die die Gesundheit der Menschen entlang der Trasse schädige, sei geringer.

Die Grenzwerte für elektromagnetische Strahlung legt die Bundesimmissionsschutzverordnung fest, für Hochspannungsleitungen beträgt der Wert 100 Mikrotesla. Viel zu hoch für Schulze. Studien hätten krebserregende Wirkungen bei einer dauerhaften Belastung durch 0,1 bis 0,2 Mikrotesla festgestellt. Schulz ist überzeugt, dass Wechselstrom außerdem eine Gefahr für Träger von Herzschrittmachern ist. Spaziergänger wären unter den 380 Kilovolt-Leitungen einer Strahlung von 40 bis 50 Mikrotesla ausgesetzt, bei Herzschrittmacher könnten schon 17 Mikrotesla eine Fehlfunktion auslösen. Nicht unerheblich für die Kurstadt Bad Gandersheim.

Darum kämpft Schulze für die Erdkabel – und die Unterstützung wächst. Waren es anfangs noch 75 Mitglieder, sind es inzwischen 165 Privatpersonen, aber auch drei Kommunen und zwei Ortsverbände. Immer wieder versuchen Schulz, Messerschmidt und Bernotat, Politiker und auch Stromkonzerne von den Erdkabeln zu überzeugen. Nutzen Besuche von Ministerpräsident David McAllister in der Region, um ihn mit Demonstrationen auf ihr Thema aufmerksam zu machen. Bisher erfolglos. Aber sie wollen weitermachen, bis sie die Erdkabel durchgesetzt haben.  KATHRIN OTTO