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Archiv-Artikel

Freude übers Bobby-Car

WESTBERLIN Die Gruppe Oper Dynamo West macht das Le-Corbusier-Haus auf dem Olympiahügel zum Ort und Gegenstand einer Lautperformance

VON KATHARINA GRANZIN

„Hier wache ich“, steht auf einem quietschbunten Aufkleber an einer Tür im ersten Stock. Ein zotteliger Schmusehundekopf prangt unter dem Schriftzug. Ein Unikat. Entweder leben hier Leute, die nicht wissen, dass sie in einem Architekturdenkmal wohnen, oder der Kuschelhund ist Ausdruck rebellischen Eigensinns gegen die ästhetisch genormte Konformität der Umgebung. Denn dieses Hochhaus hat Le Corbusier gebaut. Deshalb ist es zwar okay, dass außen massenhaft Schwalben unter den Balkonvorsprüngen nisten. Aber es ist innen nicht okay, eine Fußmatte vor die Wohnungstür zu legen. Die Korridore, „Innenstraßen“ genannt, sind fensterlos und so steril wie Krankenhausflure. Breit, mit gepflegtem Linoleum ausgelegt, die Wohnungstüren in einheitlicher Farbgebung. Es gibt viel Platz zum Gehen. Aber dieser Platz darf nicht dazu verwendet werden, Dinge dauerhaft zu installieren.

Die Gruppe Oper Dynamo West ist seit 2006 im alten Westberliner Stadtgebiet unterwegs, um „urbanes Musiktheater“ zu machen, wie sie es nennen, und Orte zu bespielen, die aus der öffentlichen Wahrnehmung fast verschwunden sind. Die Gegend um den Bahnhof Zoo war Gegenstand von theatralischen Erkundungen, andere Produktionen spielten am Busbahnhof, in Lagerhallen, in einem Supermarkt. Eine schöne Publikation ist daraus entstanden: „Oper Dynamo West. Die Stadt als Bühne“ (Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010, 29,80 Euro). Beim Blättern beginnt man jenes alte Westberlin erst wieder so richtig anzusehen, das auch in der Realität schon lange den Eindruck machte, hier sei die Zeit irgendwie stehen geblieben. Auch auf den großartigen Fotos scheint das so zu sein. Statisch, fast statuarisch fangen sie Orte und Menschen ein. Sie zeigen gleichsam eine Welt in Plexiglas, in der das Leben erstarrt ist.

Auch das Corbusierhaus am Olympiastadion scheint eine solche Plexiglaswelt zu sein. Zumindest ist das der Eindruck, den man an diesem Abend gewinnen kann. Aber war das tatsächlich die Absicht? „Das Wort haben die Benützer“, heißt die Produktion, bei der kleine Besuchergruppen von einer freundlichen Führerin durch das Haus gelotst werden.

Zehn Personen bekommen je einen kleinen schwarzen Würfel in die Hand gedrückt. Es sind Lautsprecher, aus denen hin und wieder Fetzen von Wortbeiträgen schallen – Ausschnitte aus Interviews mit Bewohnern des Hauses. Der Sprecherton wechselt von Lautsprecher zu Lautsprecher, manchmal schon nach wenigen Worten oder einem „Äh“. Eine originelle, aber wenig praktische Idee, denn man versteht im Großen und Ganzen rein gar nichts. Einmal geht es um einen Stromausfall, um Le Corbusier irgendwie auch mal, und jemand mochte wohl den Hausmeister nicht.

Wie ausgestorben

Wir werden durch die überall gleichen Korridore geführt, die sich immerhin manchmal in der Farbgebung unterscheiden, und müssen hier und da stehen bleiben, um auf sehr leise Musikfetzen zu lauschen, die aus Wohnungen dringen – kompiliert aus Lieblingsmusik der Bewohner. Sonst passiert nichts. Nicht einmal echte Lebenszeichen sind zu hören, so, als habe man allen eingeschärft, sie dürften heute Abend keinen Laut von sich geben. Das Haus wirkt wie ausgestorben – da ist es eine Erleichterung, als sich in einem Korridor eine fröhliche Kleinfamilie materialisiert, komplett mit Hund und Bobby-Car. Fasziniert sehen wir alle hin und lächeln – und dabei gehören diese Menschen gar nicht zur Performance. Am Schluss dürfen wir sitzen und uns auf drei Bildschirmen statische, aber immerhin wechselnde Videobilder vom Corbusierhaus und seiner Umgebung ansehen.

In puncto Erfahrungswert sind eindeutig die wiederholten Fahrstuhlfahrten das eindrucksvollste Erlebnis des Abends. Wenn 15 Personen sich einen 15-Personen-Fahrstuhl teilen, muss man sich gut verstehen. Ist es vielleicht das, worum es hier ging? Oder warum waren wir sonst hier? Vielleicht, um mitzuerleben, wie sich die Methoden des dokumentarischen Theaters so weit ins Abstrakte treiben lassen, bis nichts mehr übrig bleibt als die reine Form. Oder nur die Andeutung von Form. Form ohne Inhalt aber ist vor allem eines: sterbenslangweilig. Auch in der Architektur.

■ „Das Wort haben die Benützer“, im Le-Corbusier-Haus, 25., 26., 30.–31. August, 1.–2. September