: Bedrohliche Plage
GELDEINTREIBER Viele Inkassoforderungen sind nicht berechtigt, aber aus Angst werden oft auch Fantasiegebühren beglichen. Vor allem online lauern Fallen. Immerhin schafft die Buttonlösung seit August bei Vertragsabschlüssen im Internet mehr Sicherheit
■ Gegen Internetabzocke mit angeblichen Gratisangeboten wurde zum 1. August die sogenannte Buttonlösung für private Vertragsabschlüsse obligatorisch. Sie verpflichtet Unternehmen, ihre Kunden unmittelbar vor Absenden der Bestellung deutlich über das Produkt, den Gesamtpreis, Versand- und Zusatzkosten sowie die Vertragslaufzeit zu informieren. Außerdem müssen Anbieter ihre Webseiten so gestalten, dass Käufer beim Bestellen die kostenpflichtige Transaktion ausdrücklich bestätigen. Ein Bestellbutton muss mit einer Beschriftung wie „zahlungspflichtig bestellen“ eindeutig auf die Kostenpflicht hinweisen. Im Streitfall liegt die Beweislast für eine gesetzeskonforme Gestaltung der Website und die tatsächliche kostenpflichtige Bestellung beim Anbieter. (lk)
VON LARS KLAASSEN
„Moskau Inkasso“: Dieser Name ist in den vergangenen Jahren durch eine Reihe von Medienberichten berühmt geworden. Das sind Muskelpakete, die in schwarzen Klamotten bei Leuten vor der Haustür auftauchen, die anderen Geld schulden.
Viele werden sich nun denken, dass sie weit davon entfernt sind, solchen Geldeintreibern in die Fänge zu geraten – und könnten sich damit irren. Denn Moskau mag zwar weit weg liegen, aber mit Inkassoforderungen werden immer mehr Menschen konfrontiert – wenn auch nicht immer gleich Schlägertypen vor der eigenen Tür stehen.
Dafür handelt es sich häufig um ungerechtfertigte Forderungen, die mit unseriösen Methoden eingefordert werden. „Unseriöses Inkasso geht Hand in Hand mit Kostenfallen im Internet und unlauterer Telefonwerbung“, warnt die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). „Willkür und Fantasiegebühren treiben Inkassoforderungen in schwindelerregende Höhen.“
Solch eine Erfahrung machte unter anderem die Wohngemeinschaft von Malte Schmitt*: „Aus der Forderung eines Call-by-Call-Anbieters über 0,01 Euro, die auf der Telekom-Rechnung mit aufgeführt war, wurden im Laufe von zwei Mahnungen zuerst 5,90 Euro und dann 41,90 Euro.“ Von der letzten Forderung waren die bereits überwiesenen 0,01 Euro abgezogen, darin enthalten waren 32,50 Euro Inkassokosten. Es folgte schließlich noch ein „einmaliges Vergleichsangebot“ über 29,30 Euro. Dass über die Telefonrechnung Drittanbieter mitkassieren, ist mittlerweile eine weit verbreitete Praxis. Vor allem bei Mobilfunkrechnungen sollten Kunden ganz genau hinsehen: ob man von den aufgeführten Unternehmen je etwas gehört und vor allem ob man wissentlich einen Dienstleistungsvertrag mit ihnen geschlossen hat.
Bei Apps auf Smartphones funktionieren die Fallen etwa so, dass irgendwo in einem kostenlosen Programm ein Werbebanner auftaucht. Wird dieses nur einmal versehentlich mit dem Finger berührt, löst das ein kostenpflichtiges Abo aus. Kassiert wird über die monatliche Mobilfunkrechnung, über die viele dann erstmals von dem angeblichen Vertragsabschluss erfahren. Dass in solchen Fällen überhaupt ein Vertrag entsteht, bestreiten Verbraucherschützer. Das Problem: Mobilfunkanbieter bieten dennoch auch ohne Genehmigung des Nutzers Drittanbietern solche Verfahren an.
Die gute Nachricht: Seit 1. August ist bei Verträgen via Mobilfunk und im Internet eine doppelte Zustimmung erforderlich. Andernfalls gilt, dass kein Abo-Vertrag zustande gekommen ist. Verbraucherschützer sind jedoch skeptisch, weil dubiose Firmen bisher immer noch ein Hintertürchen entdeckt hätten. Das ist auch das Ergebnis der Auswertung von rund 4.000 Verbraucherbeschwerden durch den vzbv im Vorjahr.
Demnach waren rund 99 Prozent dieser Beschwerden aufgrund unseriöser Inkassopraktiken berechtigt. „Unseriöses Inkasso ist eine bedrohliche Plage. Abzocke und Einschüchterung müssen endlich gestoppt werden“, fordert Gerd Billen, Vorstand des vzbv.
Die nicht repräsentative Untersuchung zeigt: In 84 Prozent der Fälle war bereits die Hauptforderung unberechtigt, in 15 Prozent der Fälle blieb auch auf Nachfrage unklar, ob es sich um eine berechtigte Forderung handelt. Lediglich ein Prozent der erfassten Inkassoforderungen waren eindeutig berechtigt.
Meist stehen unberechtigte Inkassoforderungen im Zusammenhang mit untergeschobenen Verträgen, die durch Abofallen im Internet, unerlaubte Telefonwerbung oder Gewinnspielwerbung angebahnt wurden.
Viele Betroffene zahlen aus Unkenntnis und Angst selbst unberechtigte Forderungen, weil sie sich bedroht und eingeschüchtert fühlen, so die Erfahrung der Verbraucherschützer. Gedroht wird mit Hausbesuchen, einem Eintrag bei der Schufa oder Lohn- und Kontopfändung.
Vielfach sorgen – auch bei berechtigen Forderungen – Fantasiegebühren für eine Kostenexplosion der Gesamtrechnung. So verlangten Inkassounternehmen in rund 50 Prozent der ausgewerteten Fälle nicht nachvollziehbare Gebühren, Auslagen oder Zinsen. Unterm Strich erhöhte sich dadurch die Summe der Hauptforderungen von rund 490.000 Euro auf Gesamtforderungen in Höhe von rund 750.000 Euro. 15 Prozent der Beschwerden betrafen dabei nicht registrierte Inkassounternehmen. Doch nur bei Gerichten registrierte Inkassounternehmen dürfen hierzulande Schulden eintreiben.
*Name von der Redaktion geändert