die woche in berlin
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Grünstreifen oder Autoparkplätze? Ein Stück der Karl-Marx-Allee sorgt für Knatsch unter den Koalitionspartnern. Der polizeiliche Lagebericht zur Organisierten Kriminalität wirft allerhand Fragen auf. Und in Mitte sorgt ein Fall für Furore: Einem Mieter im Wedding droht in ein paar Wochen nach Ausschöpfung des Rechtswegs die Zwangsräumung nach Jahrzehnten

Legal, illegal, scheißegal

Koalition streitet um Grün­streifen auf der Karl-Marx-Allee

Es gibt Familienstreitigkeiten, die enden damit, dass drei Geschwister, die sich sehr nahestehen, über Jahre kein Wort mehr miteinander reden; an deren Auslöser sich aber in der Rückschau keiner mehr erinnern kann. Vielleicht, weil er zu banal war?

Rot-Rot-Grün zofft sich seit Wochenanfang darum, ob Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) in der Karl-Marx-Allee Parkplätze in der Mitte der Fahrbahn durch einen Grünstreifen ersetzen darf. Obwohl, eigentlich geht es nicht darum, sondern um Klimaschutz und den Kampf Auto versus nichtmotorisierte Straßennutzer. Letztlich ist es ein Streit, wer im Senat mit wem redet. Das ist schwer zu verstehen. Im doppelten Sinne.

Was ist passiert? Günther hatte im Sommer entschieden, die Autoparkplätze in der Straßenmitte der im Umbau befindlichen Magistrale durch einen Grünstreifen zu ersetzen. Sie übergeht damit das Ergebnis einer Bürgerbefragung vor sechs Jahren. Günther begründet den Vorstoß damit, dass es „eine völlig neue Lage in der Stadt“ gebe und meint das Mobilitätsgesetz, das eine Verlagerung von Fläche zuungunsten von Autos vorsieht, sowie den Klimawandel.

Am Dienstag war der Plan Günthers Thema in der Senatssitzung. Sie verlief für Günther insgesamt rau. Am Ende teilte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) mit: Günther könne nicht allein entscheiden, weil noch zwei weitere Senatsverwaltungen zustimmen müssten. Letztlich habe sie „keine Rechtsgrundlage“ für den Grünstreifen.

Nun könnte man daraus schließen: Was nicht rechtens ist, wird auch nicht umgesetzt. Das sieht die Umweltverwaltung anders. Es werde weiter gebaut, „der Grünstreifen befindet sich in Umsetzung“, beeilte sich Günthers Sprecher am Dienstagabend zu erklären. Die Umweltverwaltung will mit der Causa Karl-Marx-Allee offensichtlich auch dem häufiger zu hörenden Vorwurf entgegentreten, sie tue für die Umsetzung des Mobilitätsgesetzes zu wenig. Mit Erfolg: Auf Twitter sind Günthers UnterstützerInnen – darunter der BUND – für den zugegebenermaßen überfälligen Kampf gegen Parkplätze und für das Klima unterwegs.

Die Koalitionspartner Linke und SPD waren indes wenig erfreut über diese Taktik der Senatorin. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) etwa schrieb: „Es kann auch nicht im Interesse des BUND sein, dass jetzt einfach mal die Geltung von Verfahren und gesetzlichen Vorschriften suspendiert wird. Mein Verständnis: frühzeitig gemeinsam nach guten Lösungen suchen.“ Und: „Es geht nicht um Stellplätze.“ Lederer ist Teil des Streits, weil Günther mit ihm nicht gesprochen hat und er auch für Denkmalschutz zuständig ist. Die Koalition will die Karl-Marx-Allee als Unesco-Weltkulturerbe vorschlagen. Dafür sollten Veränderungen am Ensemble vorher geklärt werden.

Parkplätze, Kommunikation, legal, illegal, scheißegal, Bürgerbeteiligung, BUND – die Ebenen, Aspekte, Kritikpunkte vermischen sich. Und es besteht die Gefahr, dass am Ende niemand mehr weiß, wie der ganze Streit angefangen hat, gerade in einer Koalition, in der bei jeder Auseinandersetzung der Vorwurf laut wird, der jeweils andere verstehe die Sprache des Partners nicht.

Am Donnerstag meldete sich die Architektenkammer mit einem Kompromissvorschlag zu Wort: Sie schlägt temporäre Hochbeete auf der Straßenmitte vor. Der Streit dürfte also weitergehen. Bert Schulz

Soziokulturelle Forschung à la Sarrazin

Polizei macht sich ein Lagebild zur Organisierten Kriminalität

Zweifelsohne stellt Organisierte Kriminalität (OK) im Unterschied zur „normalen“ eine echte Bedrohung des gesellschaftlichen Friedens dar. Nicht nur wegen des wirtschaftlichen Schadens, den sie anrichtet, und der Gewalttätigkeit, die „das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beeinträchtigt“, wie Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Mittwoch bei der Vorstellung des ersten „Lagebilds Organisierte Kriminalität Berlin 2018“ sagte. Auch die Tendenz von OK zur „Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft“, wie es im Lagebild heißt, ist sehr beunruhigend.

Umso wichtiger ist ein nüchterner Blick auf die Bedrohungslage – der dem LKA beim Thema „Clankriminalität“ allerdings zu fehlen scheint. So heißt es dazu im Lagebild: „Der Phänomenbereich ist von einer in weiten Teilen der arabischstämmigen Community bestehenden Parallelgesellschaft geprägt …“ Ach ja? Betreibt die Polizei jetzt soziokulturelle Forschung über die arabische Community zusammen mit Herrn Sarrazin?

Was es mit Sicherheit gibt in diesen Kreisen ist das Gefühl, von der Mehrheitsgesellschaft nicht wirklich anerkannt zu sein. Ein Gefühl, das durch Sätze wie den zitierten zweifelsohne bestätigt wird. Oder auch durch martialische Großrazzien im Namen des Kampfes gegen „Clankriminalität“ in arabisch geprägten Vierteln, etwa um die Sonnenallee. Wenn dort Hunderte schwer bewaffnete Beamte Geschäfte auf den Kopf stellen, nur um am Ende fehlenden Immissionsschutz in Shisha-Bars zu bemängeln oder ein paar Kilo unverzollten Tabak zu finden: Wer kann den Betroffenen, den AnwohnerInnen und BesucherInnen verdenken, dass solche Aktionen für sie eher nach Einschüchterung und Maßregelung der Community aussehen als nach Verbrechensbekämpfung?

Tatsächlich gelten diese Einsätze, erklärte die Polizeipräsidentin, gar nicht der OK. Man wolle damit ein „Dominanzverhalten“ und „Regelverstöße“ eindämmen, die zwar teils unterhalb der Schwelle zur Kriminalität lägen, die man aber nicht akzeptieren wolle. Denn, so der Innensenator, auch das „Zweite-Reihe-Parken“ von Angehörigen der Clan-Familien „höhlt den Rechtsstaat aus“.

Wir fassen die polizeiliche Sicht auf „die Lage“ zusammen: Araber leben (in weiten Teilen) in einer Parallelgesellschaft, in der Recht und Gesetz nicht respektiert werden. In dieser Welt bewegen sich – wie Fische im Wasser – die Clanfamilien, die teils normale Araber sind (Zweite-Reihe-Parker), teils richtige Verbrecher. Ergo: Wenn man ab und zu kräftig ins Wasser haut, trifft man immer die richtigen.

Ganz ehrlich: Eine solche Polizeiarbeit löst keine Probleme, sie schafft eher neue. Susanne Memarnia

Eine solche Polizeiarbeit löst keine Probleme, sie schafft eher neue

Susanne Memarniaüber den Lagebericht der Polizei zur Organisierten Kriminalität

EineandereBaustelle

Streit in Mitte: Beschlagnahmen statt Zwangsräumen

Es wäre doch zu schön: Woh­nun­gen, aus denen Privat­eigen­tümer:in­nen ihre Mie­ter:in­nen zwangsräumen wollen, könnte der Bezirk kurzerhand beschlagnahmen, um die Obdachlosigkeit der Betroffenen abzuwehren. Tatsächlich gab es Ende November einen solchen Beschluss in Mittes Bezirksparlament. Es ging um den Fall eines jahrzehntelangen Mieters im Wedding, dem Ende Januar nach Ausschöpfung des Rechtswegs die Zwangsräumung droht. Doch der zuständige Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD) will den Beschluss nicht umsetzen, die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ macht jetzt dagegen mobil.

Tatsächlich sind die Hürden für eine solche Beschlagnahmung extrem hoch. Die Linke, die den Antrag ins Bezirksparlament eingebracht hatte, stützt sich auf ein Gutachten, das der Wissenschaftliche Dienst des Berliner Abgeordnetenhauses im Auftrag der Linksfraktion im Februar 2019 erstellt hat. Darin steht in der Tat, dass die Ordnungsbehörden befugt seien, durch eine ordnungsrechtliche Beschlagnahme von Wohnraum eine unmittelbar drohende Obdachlosigkeit zu verhindern.

Die Gesamtlektüre des Gutachtens sowie einschlägige Gerichtsurteile verdeutlichen aber auch: Eine solche Beschlagnahmung ist Ultima Ratio. Zunächst hat sich der Mieter zu bemühen, anderen Wohnraum zu finden. Gelingt ihm dies nicht, sind die Behörden verantwortlich. Und nur wenn die gar keine andere Möglichkeit der Unterbringung finden, etwa in Wohnungslosenunterkünften oder Pensionen, erst dann kommt eine Beschlagnahme infrage.

Die Weddinger Initiative argumentiert nun, dass die Unterbringung in Wohnungslosenunterkünften, ebenfalls ein Instrument des Ordnungsrechts, nichts mit menschenwürdigem Wohnen zu tun habe. Tatsächlich hat der erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Jahresbericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte die Praxis der ordnungsrechtlichen Unterbringung von Wohnungslosen auf den Prüfstand gestellt. Das Urteil: Angesichts der Wohnungsknappheit sei die Verweildauer der Untergebrachten teils so lang, dass die geringen Standards, die an diese Unterkünfte angelegt werden, mit dem Recht auf menschenwürdiges Wohnen nicht vereinbar seien. Die VerfasserInnen forderten die Bundesregierung auf, neue Standards zu entwickeln. In Berlin will die Sozialsenatorin mit einer gesamtstädtischen Steuerung noch in der aktuellen Legislaturperiode die Bedingungen der ordnungsrechtlichen Unterbringung verbessern.

Aber das ist im Grunde eine andere Baustelle, die eben Politik und Verwaltung bei der Verhinderung von Obdachlosigkeit in die Pflicht nimmt und nicht private Wohnungseigentümer. Ohnehin bedeutet eine ordnungsrechtliche Beschlagnahme allenfalls einen kurzen Aufschub für die Lösung eines bleibenden Problems: Sie ist auf einen sehr begrenzten Zeitraum, laut Literatur und Rechtsprechung 2 bis 6 Monate, befristet.

Wer denkt, dass private Wohnungs­eigen­tümer:innen ungeeignet sind, um das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf menschenwürdiges Wohnen zu wahren, der sollte Bestrebungen unterstützen, die die Renditemöglichkeiten von Privateigentümern eindämmen oder die Wohnungswirtschaft zunehmend in gemeinwohlorientierte Hände legen. Die kurzzeitige ordnungsrechtliche Beschlagnahmung privaten Wohneigentums scheint dafür jedenfalls kein geeignetes Vehikel. Manuela Heim