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Wie Beethoven an die Grasnarbe kam

Anlässlich seines 250. Geburtstags bietet die Initiative „Beethovenbeiuns“ bundesweit Hauskonzerte und Musikprogramme in kleinem Format mit seinen Kompositionen an

Von Frieder Reininghaus

Vorgestern oder gestern vor 249 Jahren wurde Ludwig vermutlich geboren, getauft am 17. Dezember 1770. Genau weiß man nicht, wann die Niederkunft in der dunklen Stube der Maria Magdalene Kevernich und des alkoholkranken Tenors Johann van Beethoven stattfand. Fest steht hingegen, dass der Superklassikstarjubilar des Jahres 2020 von Stund an zwölf volle Monate mit Sang und Klang gefeiert wird: Am 16. Dezember mit einem staatsrepräsentativen Festakt in Bonn, dann mit Ausstellungen und Konferenzen sowie besonderen Anstrengungen der künstlerisch abgesenkten örtlichen Oper. Insbesondere mit einer kaum zu überblickenden Vielzahl von Konzerten auch im Umland und der übrigen Bundesrepublik. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen die konzertierten Aktionen die Leistungsfähigkeit und Strahlkraft von „Kultur made in Germany“ machtvoll demonstrieren. Sie wurden daher mit 42 Extra-Millionen angekurbelt.

Eine gewisse Verlegenheit bereitet den in Konkurrenz kooperierenden Anbietern im Erbe­verwalterkonsortium, dass in der Bundesstadt Bonn derzeit der geeignete Saal für repräsentative symphonische Konzerte ausfällt. Die geschichtsträchtige Beethovenhalle ist dank eines von langer Hand geplanten Schildbürgerstreichs wegen Sanierung geschlossen. So muss schon der Beethoven-Marathon am kommenden vierten Adventssonntag in Ausweichquartieren stattfinden.

Der angesagte Dirigent Dirk Kaftan absolviert mit seinem Beethoven-Orchester an einem Tag alle neune – auf dem Petersberg, in der Telekom-Zentrale und im Theater. „Kreativ beschenkt“ wird die Festspielgemeinde auch mit Ausflügen zur Literatur, in die Stadt, zum Naturfreund B., zur „leichten Muse“ und, als Ausklang, zum wackeren Trinker Beethoven.

Bevor das von Nike Wagner kuratierte und mit Freundln bestückte offiziöse Beethovenfest Mitte März eine geballte Programmwoche unterm Motto „Seid umschlungen“ anbietet und dann im September sein Hauptprogramm auffächert, ging BTHVN 2020 an den Start. Dieser Anbieter entwickelte sich aus einer Bürgerinitiative und machte aus der Bonner Raumnot eine Tugend. Mit der Ini­tiative „Beethovenbeiuns“ bietet er bundesweit Hauskonzerte und Musikprogramme in kleinem Format an – in repräsentativen Wohnzimmern, Schlössern, Mehrzweckhallen und kleinen Sendesälen. Allein am vergangenen Wochenende sollen es rund 250 in Nordrhein-Westfalen gewesen sein.

Vom Angebot zum Mitschunkeln wollten die Gäste keinen Gebrauch machen

Eine dieser dezentralen Veranstaltungen fand in unserer zum Arbeitsraum umgebauten Scheune statt, am Ortsrand einer Gemeinde dreißig Kilometer östlich von Bonn, hinter der Konrad Adenauer einst gleich Sibirien wähnte. Am Waldrand gastierte da das international, mit drei jungen Musikerinnen und einem aus Süditalien stammenden Nachwuchs­pianisten bestückte „Ensemble Elysium“ und einem bunten Programm: Elena Plaza sang aus der großen Sammlung von Beethovens Bearbeitungen der „Lieder verschiedener Völker“ eine Auswahl in Polnisch, Russisch, Schwedisch, Englisch, Spanisch, Italienisch sowie einer deutschartigen alpenländischen Sprache. Von dem im Vorfeld unterbreiteten Angebot zum Mitschunkeln wollten die zwei Dutzend Gäste keinen Gebrauch machen – auch nicht bei den von Ana Camón Botella mit strammem Strich und sattem Ton absolvierten Varia­tio­nen über Mozarts Duett „Bei Männern, welche Liebe fühlen“. Erst recht nicht bei der großen Violinsonate c-moll op. 30 Nr. 2, mit der Magdalena Lorenz und Ettore Strangio bravourös, bemerkenswert leicht und unpathetisch den Abend krönten – ein rundum wettbewerbsfähiger Beitrag in der Kategorie Kammermusik.

Die angereisten Automobile, deren Besatzungen gern auch dem Mineralwasser, dem Crémant oder Côte du Rhône und den Snacks zusprachen, zerfielen in zwei Klassen – eine sehr noble und eine eher von ökologischem Denken geprägte. Klassenübergreifend war die Hardcore-Zuneigung zu klassischer Musik, die Kenntnis ihrer Geschichte und Gegenwart sowie der differenzierten Künste der Interpretation. Man war sichtlich und hörbar begeistert, die ganz jungen KünstlerInnen so „hautnah“ erleben zu können und „Beethoven im Verschleißmodus“ entkommen zu sein. Entgegen ihren Zusagen haben sich der Schreiner, der zuletzt den Unterbau des historischen Flügels restaurierte, und die anderen Leute aus der Nachbarschaft – Maschinenbauer, Kleinunternehmer und Gabelstaplerfahrer – dann doch nicht eingefunden. Womit eine der erklärten Zielsetzungen dieses Feldversuchs an der Grasnarbe der bürgerlichen Kultur fürs Erste verfehlt wurde.

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