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Ist doch blöd, das alles

Meg Wolitzer schreibt mit „Die Zehnjahrespause“ einen feministischen Roman der mittleren Generation

Von René Hamann

Mit „Die Interessanten“ hat die feministische US-Autorin Meg Wolitzer vor fünf Jahren einen späten Erfolg gefeiert – nun erscheint mit „Die Zehnjahrespause“ ein weiteres Buch von ihr auf Deutsch; im Original wurde es bereits 2008 veröffentlicht. Wolitzer beschreibt darin die zehn Jahre lange Lücke in der Biografie einer gewöhnlichen Frau der Mittelschicht – jene zehn Jahre, die mit Schwangerschaft und Aufzucht verloren gehen. Ironischerweise leidet auch das Buch an einer Lücke, die zehn Jahre umfasst.

Im Mittelpunkt stehen vier Frauen knapp über 40. Es sind durchschnittlich anmutende Akademikerinnen aus New York, Frauen mit Ehrgeiz, Zielen und Ambitionen, die Kunst und Karriere für Kind und Kegel und die gängige Vision von Kleinfamilie aufgegeben haben, während ihre Männer meist recht erfolgreich die Jagd nach dem Geld fortsetzten. Mittelschichtsfrauen mit mittelschichtstypischen Problemen und einem großen blinden Fleck genau dort, wo Selbstreflexion in einem größeren Zusammenhang stattfinden könnte oder sollte.

Das reicht eigentlich, um rasche Ausstiegsszenarien seitens der Leserschaft auszulösen. Tatsächlich aber schafft es Wolitzer mit diesem Roman, ein zumindest hierzulande bisher einigermaßen freies Feld zu besetzen, das nämlich des feministischen Romans der mittleren Generation. Außerdem ist „Die Zehnjahrespause“ mehr als der nächste flott geschriebene Unterhaltungsroman, weist er doch einen soziologisch genauen, oft scharfen Blick auf, einen angenehmen Rhythmus, ein Feingefühl für seine Figuren, und den nötigen Witz.

Amy, Roberta, Jill und Karen hatten also Berufe und Berufungen – jetzt haben sie Kinder. Früher hatten sie Karriere-Ambitionen, jetzt schauen sie ihren Söhnen und Töchtern skeptisch beim nerdigen und autistischen Treiben zu. Sie haben Männer, die weichgezeichnet sind, aber trotzdem im Wesentlichen dafür da, die Kohle ranzuschaffen; sie haben Mütter, von denen in kurzen Zwischenkapiteln erzählt wird und die ebenso unter dem Patriarchat zu leiden hatten; und sie haben sich und ihre Freundschaften, um sich über den ganzen Schlamassel auszutauschen.

Meg Wolitzer: „Die Zehn­jahrespause“, DuMont Verlag, Köln 2019, 416 S., 24 Euro

Mutet amerikanisch an? Ist aber von hiesigen Umständen, die bei den Schlagwörtern Prenzlauer Berg, Milchkaffee und Kita aufpoppen, auch in seiner ganzen Naivität nicht so weit entfernt: Das gesellschaftliche Modell der Kleinfamilie, das Konzept der monogamen Ehe bis hin zur geschlechterstereotypen Rollenverteilung (Frau Kinder, Mann Arbeit) wird nicht in Frage gestellt, nicht von den Figuren, und nicht vom Roman. Es wird nur davon erzählt, wie blöd das alles ist. Vielleicht machen sich hier tatsächlich die zehn fehlenden Jahre bemerkbar: Es bleibt zu hoffen, dass die Frau in der Gesellschaft heute weiter ist (und natürlich auch: der Mann).

Immerhin, Wolitzer kann schreiben, und sie schmuggelt lustig Autobiografisches in den Roman. So hat ihre erste Hauptfigur Amy genau wie sie eine Autorin als Mutter, deren Töchter unter ihrer selbstausbeuterischen Unlust zur Kinderziehung litten. Auch an anderen Stellen blitzen Abgründe auf: „Der Ausdruck Glück haben fiel oft, wenn die Mütter … über ihr Leben sprachen […]. Doch unter den Glücklichen kursierten … Geschichten vom Unglück, in denen es um die Betreuung der Kinder berufstätiger Mütter ging. Da war die Babysitterin, die einen hübschen, nur leider sadomasochistischen Blog über Sex und Drogen betrieben hatte, während eine andere für eine Woche zu ihrer Familie nach Trinidad geflogen und nie wieder aufgetaucht war.“

„Die Zehnjahrespause“ ist ein ziemlicher Pageturner, der trotz der naiven Welt, die er schildert, nicht auf den Kopf gefallen ist. Die deutschsprachige Literatur hat dagegen Gertraud Klemm oder Anke Stelling aufzubieten, die inhaltlich, diskursiv vielleicht zehn Jahre weiter sind. Stilistisch können Meg Wolitzer jedoch nur wenige das Wasser reichen.

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