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Archiv-Artikel

Ansichten aus der jungen Bonner Republik

Dies sind die Fünfzigerjahre in Westdeutschland, so wie sie sich selbst sahen und gesehen werden wollten. Man traf sich in bunten Kleidern in hellen Wohnungen zum Kaffee – und reichte sich auch als Frau Zigaretten. Man packte an, schließlich wurde in Sachen Wirtschaftswunder gehörig in die Hände gespuckt, gönnte sich aber auch kleine Pausen im modern eingerichteten Büro. Natürlich gab es noch Ruinen hier und da, aber man arbeitete dran, dies Land wieder flott zu machen; passend für das kleine private Glück in den eigenen vier Wänden oder doch zumindest auf den zwei Rädern des eigenen Motorrads – nach all den verhängnisvollen kollektiven Glücks- und Unglücksverheißungen im Jahrzehnt zuvor. Die Freizeitgesellschaft, die Konsumgesellschaft, all das deutet sich hier bereits an.

Von Jupp Darchinger stammen diese Bilder; er fotografierte sie auf Reportagereisen, die ihn in den zweiten Hälfte der Fünfziger durch die Bundesrepublik führten. Sein Auftraggeber: die SPD. Die Partei stellte die Fotos ihren Ortsvereinen zur Verfügung, mit Diashows sollte die Geselligkeit gepflegt werden; außerdem sollten alle sehen, dass es wieder vorwärts ging und dass jeder seinen Beitrag dazu leisten kann, Deutschland zu modernisieren. „Auf dich kommt es an“ – so hieß dann zum Beispiel eine solche „Tonbildfolge“.

Hell sah Deutschland damals aus. Die Halbstarken setzten sich Sonnenbrillen auf, und die alten Leute lasen bunte Illustrierte. Als Adorno aus seinem amerikanischen Exil nach Frankfurt am Main zurückkehrte, schrieb er den Satz: „Wenn ich aufrichtig bin, muss ich sagen, dass es immer erst der Reflexion bedarf, um mich daran zu erinnern, dass der Nachbar in der Trambahn ein Henker gewesen sein kann.“ Man versteht diesen Satz, wenn man diese Bilder sieht: Die unmittelbare Vergangenheit ist ihnen nicht mehr anzusehen. Von den 68ern wurden diese Jahre dann unter Generalverdacht gestellt, als kollekties Beschweigen der Nazijahre. Vielleicht braucht es den Abstand eines halben Jahrhunderts, um nun anhand dieser Fotos auch die positiven Leistungen dieser Jahre würdigen zu können: Sie waren auch eine Gründerzeit. DIRK KNIPPHALS