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Archiv-Artikel

Kartoffelsalat für Zappa

Subversion und Gegenkultur: Die Zappanale in Bad Doberan gedenkt ihrer mit Ehrfurcht und Nostalgie. Denn Zappa-Hörer sind nicht nur treu, sondern können auch fehlerfrei mitsingen

VON JÖRN MORISSE

Der Boden ist noch feucht vom letzten Regenguss auf der Trabrennbahn in Bad Doberan, wenige Kilometer vor der Küste von Mecklenburg-Vorpommern. Die Sonne kommt durch und die Schwalben fliegen tief über dem Festivalgelände der „Zappanale“, der alljährlichen Versammlung der Zappa-Enthusiasten. Die Zappanale ist eine Mischung aus Plattenbörse, Klassentreffen und einer rar gewordenen Art von altmodischem Rockfestival.

Für den Veranstalter Wolfhard Kurz besteht das Festival – wenn nicht gar das ganze Musik-Universum – einerseits aus Zappa-Musik, andererseits aus „zappaesker“ Musik. Nach langen Diskussionen, lässt er in seiner Willkommensrede wissen, habe man sich für die 16. Zappanale zu einer Mischung aus 60 Prozent Zappa-Musik und 40 Prozent zappaesker Musik entschlossen. Danach eröffnet der SPD-Bürgermeister von Bad Doberan, neben Vilnius die weltweit einzige Stadt mit Zappa-Denkmal im öffentlichen Park, das Festival herrlich unironisch mit den Worten „Es zappt wieder“.

Ein Teil des Reizes dieser Familienveranstaltung liegt sicherlich in der trockenen norddeutschen Zurückhaltung begründet, mit der die Organisatoren ihrer persönlichen Leidenschaft nachgehen und von Jahr zu Jahr mit zunehmendem Professionalisierungsgrad ein einzigartiges Nischen-Event stemmen. Der 1993 verstorbene Frank Zappa gilt immer noch quasi ikonenhaft als Inbegriff umstürzlerischer Gesinnung, musikalischer Komplexität und Gegenkultur mit satirischem Unterton. Genau wie Zappa in seiner Highschoolzeit Edgar Varèse hörte und seine Mitschüler dazu zwang, sich Varèse anzuhören, weil er dies für den ultimativen Intelligenztest hielt, ist das Wissen um das Werk Zappas bei Musikinteressierten nach wie vor ein Distinktionsmerkmal. Zappa-Hörer sind treu und trotz des komischen und subversiven Talents ihres Helden überraschend unnachgiebig in ihrer Liebhaberei.

Auf der Bühne der Zappanale steht an den drei Tagen vorwiegend die musikalische Virtuosität im Mittelpunkt. Hier haben verschollen geglaubte Moden und Rituale aus den Siebzigern überwintert, Schlagzeugsoli, Rockgesten, aber auch bunte Paisley-Hemden. Alles angenehm uncool. Nur erstaunlich, dass ein Musiker wie Zappa, der nicht nur auf dem Gebiet konventioneller Komposition, sondern auch im Umgang mit den technischen Möglichkeiten seiner Zeit Avantgardist war, ein Heer von Nachahmern nach sich zieht, deren größtes Bestreben es ist, den Originalsong sklavisch perfekt nachzuspielen. Egal, die Zuschauer hören die alten Shanties gerne und können auch fehlerfrei mitsingen.

Man merkt, die in Ehren ergrauten Quergeister im Publikum, viele gut situiert, wie sich anhand der Fahrzeugsituation auf dem Festivalparkplatz ablesen lässt, wollen sich einfach mal wieder ein Wochenende ihrer Lieblingsmusik widmen, vielleicht sogar „ausflippen“. Viele Familien mit Kindern sind zu sehen, auch ewige Studenten mit Freak Out!-T-Shirt, Herren mit Hang zum Ausdruckstanz und zahlreiche Frank-Zappa-Lookalikes aus allen Altersstufen: der junge Zottel, die „Sheik Yerbouti“-Phase, der Jungsenior. Man erschrickt fast, wenn Typen, die dem Vorbild zum Verwechseln ähnlich sehen, auf dem Campingplatz in gutbürgerlicher Manier vor ihrem Wohnwagen sitzen und Kartoffelsalat mampfen. Zappas markante Bartfrisur ist allgegenwärtig: Sogar im Kinderzelt kleben sich die Kids gegenseitig schwarze Schnäuzer aus Papier an.

Eine gewisse Abweichung ist dann aber doch der Musik erlaubt: Der Jazzmusiker und LoFi-Alleinunterhalter Jeff Silvertrust nähert sich am Freitagabend im Festivalzelt liebenswert unperfektionistisch den komplexen Songstrukturen Zappas. Mit der rechten Hand spielt er Trompete, mit der linken Keyboard, mit dem linken Fuß bedient er die Hihat. Die NDR-Bigband, die Zappa-Klassiker arrangiert, und die bayrischen Krautrocker Guru Guru gehören ebenfalls zum erweiterten Zappa-Spektrum. Davor und danach gibt es auf der Bühne viel Platz für die niveauvolle Frank-Zappa-Hommage. Die Paul Green School of Rock, eine Gruppe von 14- bis 19-jährigen Rockmusikwunderkindern aus Philadelphia, lässt mit ihrem Repertoire von Devo über Frank Zappa bis Pink Floyd die Musikgeschichte wieder aufleben. Auch sie wissen: Pop hat nicht erst mit Michael Jackson begonnen. Ike Willis, der langjährige Sänger und Rhythmusgitarrist in Zappas Band, treibt sich auf dem Festival als „artist in residence“ herum. Für die vielen tausend Zuschauer sind seine Auftritte in verschiedenen Formationen Sternstunden.

„Ohne Abweichung von der Norm“, so wusste es schon der Meister, „ist Fortschritt nicht möglich.“ In Bad Doberan geht es, ist man mal ehrlich, dann doch nicht so sehr ums Fortschrittliche. Zappa steht hier für einen Begriff von Gegenkultur und Subversion alter Prägung, der von Nostalgie überlagert ist. Der Erfolg der Zappanale gründet sich gerade nicht darin, musikalischer cutting edge zu sein, sondern ehrfürchtig die verschiedenen Phasen im Schaffen Frank Zappas widerzuspiegeln.

Die Umbaupausen gelten dem Austausch von Zappa-Geheimwissen: Ob „Freak Out!“ wirklich das erste Doppelalbum der Musikgeschichte gewesen und auf welcher Live-Aufnahme das Gitarrensolo bei „The Torture Never Stops“ besonders präzise ist. Zappa-Science darf auf so einem lauschigen Gemeindefest keinesfalls fehlen. Im Morgengrauen bietet sich ein denkwürdiges Bild: drei berauscht schwankende Mittfünfziger, die nicht, wie vielleicht zu erwarten, besinnungslos schnöde grölen, sondern stattdessen die komplexen Harmonien von Frank Zappas „Peaches En Regalia“ intonieren.