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Archiv-Artikel

„Finanzkapital ist nicht der Sündenbock“

Der Politologe und Asienexperte Thomas Kalinowski über die derzeitigen Gefahren der Globalisierung: „Es besteht ein Überangebot an spekulativem Kapital.“ Heute beginnt die Sommerakademie der Organisation Attac in Göttingen

INTERVIEW KATHARINA KOUFEN

taz: Wo liegen zurzeit die Gefahren der Globalisierung?

Thomas Kalinowski: An den Finanzmärkten könnte sich eine Spekulationsblase bilden, die irgendwann platzt. Seit der Finanzkrise Ende der 90er-Jahre in Asien, Russland, der Türkei und Südamerika gab es keine größere Krise mehr. Gerade nach Ostasien strömen jetzt wieder große Mengen an Kapital. Die Börsen steigen rasant und in vielen Ländern auch die Immobilienpreise.

Woher kommt dieses Geld?

Es besteht ein Überangebot an Kapital. Anders gesagt: Es gibt Menschen – wenige Menschen – mit sehr viel Geld. Die Zahl der Devisentransaktionen etwa, die Geschäfte aus dem Umtausch einer Währung in die andere also, stieg von 600 Milliarden Dollar Anfang der 90er-Jahre auf 1,9 Billionen Dollar pro Tag 2004.

Was für Geld ist das?

Alles – vom Handel über Direktinvestitionen bis hin zu Dollar-Käufen etwa der chinesischen Notenbank, die damit ihre eigene Währung niedrig hält. Und natürlich auch spekulatives Kapital, mit dem vor allem große Fonds aus Kursschwankungen Gewinne erzielen wollen. Schätzungen zufolge sind 80 Prozent dieser Summe spekulativ.

Im Programm der Akademie ist vom „Sündenbock“ Finanzkapital die Rede. Ist eine Trennung zwischen „gutem“ produktivem Geld und „schlechtem“ Finanzkapital sinnvoll?

Analytisch ist eine Trennung von Investitionen in die Realwirtschaft und spekulativen Investitionen sinnvoll. Für mich ist das Finanzkapital aber kein „Sündenbock“. Gerade in den Entwicklungsländern ist die Globalisierung der Finanzmärkte nicht die einzige Ursache für Unterentwicklung: Auch vorher kamen diese Länder nicht voran.

Den Entwicklungsländern mangelt es an Kapital, keine Frage. Aber wie bringt man dieses Kapital dazu, dass es zu Entwicklung führt?

Die erfolgreichen Länder haben ihre Entwicklung nicht über freien Kapitalzufluss finanziert. Korea etwa hatte noch in den 80er-Jahren ein staatliches Finanzsystem. Es gab strenge Kapitalverkehrskontrollen. Direktinvestitionen waren nur begrenzt über Joint Ventures möglich. Dadurch wurde sichergestellt, dass ein großer Teil der Gewinne ausländischer Unternehmen im Land blieb. China hat einen ähnlichen Weg beschritten. Die Behauptung, dass sich vor allem die Länder entwickelt haben, die ihre Märkte schnell und radikal geöffnet haben, stimmt nicht.

Wenn man heute ein Land im Alleingang seinen Markt beschränkt, investieren die Anleger in ein anderes, liberalisiertes Land.

Malaysia hat im Zuge der Asienkrise Kontrollen eingeführt. Damals warnten Ökonomen, das Land bleibe vom internationalen Finanzmarkt abgekoppelt. Das war nicht der Fall, weil das Überangebot an Kapital so groß ist. Zumindest in Krisensituationen ist das eine Möglichkeit.

Andere Möglichkeiten?

Internationale Steuern wie die Tobin-Steuer auf Devisengeschäfte. Da würde auf jeden Währungsumtausch ein minimaler Prozentsatz fällig.

Das Thema ist seit dem G-8-Treffen im Juli Mainstream. Blair, Schröder – alle fordern internationale Steuern. Eine Einigung ist nicht in Sicht: Die Durchsetzbarkeit ist gering.

Aber es ist doch ein Erfolg der Globalisierungskritiker, dass dieses Thema auf einem G-8-Gipfel diskutiert wird.

Das liegt eher an den leeren Kassen der Regierungschefs. Das Problem ist doch: Wer treibt die Steuer ein, wer verteilt sie?

Wir schlagen vor, dass solche Steuern von jedem Land erhoben werden und dann von einem Fonds verteilt, und zwar in Absprache zwischen Geldgeber und Geldnehmer.