Die Freiheit ist eine fantastische Sache

Heute Abend zeigen irakische Künstler unter der Regie von Awni Karoumi in der Werkstatt der Kulturen ihr in Berlin entwickeltes Stück. Es muss ohne Titel auskommen

Freiheit ist eine fantastische Sache. Vor allem, wenn man sie hat. Im Westen nimmt man sie sich gerne oder bringt sie bei Gelegenheit auch mal woanders hin. Was nicht überall gut ankommt und selten gut zurück.

„Fantastische Freiheit“ war der Titel einer geplanten irakisch-deutschen Koproduktion, die heute Abend in Berlin Premiere feiern sollte. Fünfzehn irakische Schauspieler, Regisseure und Dramaturgen waren eingeladen, acht Wochen in Berlin zu verbringen, um hiesige Theaterschaffende zu treffen, deutsche Kulturinstitutionen zu besuchen, an Workshops teilzunehmen und ein Stück zu entwickeln.

Initiiert als „Beitrag zum kulturellen Wiederaufbau des Theaters in Bagdad“, so die Organisatoren des Programms „Bagdad – Berlin 2005“, und mehr: „Denn das Theater ist ein Ort, wo man Demokratie lernen kann: wie ich den anderen akzeptiere, wie ich einen Dialog führe, die andere Meinung ernst nehme.“ Ein schönes Anliegen, vom Hauptstadtkulturfonds und dem Auswärtigen Amt mit 110.000 Euro gefördert – aber irgendetwas wollte auch bei diesem Goodwill-Export-Import einfach nicht funktionieren.

„Wir sind nicht hergekommen, um uns helfen zu lassen, wir wollen zeigen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen“, sagte die Schauspielerin Farah Daruish im Juni dem Tagesspiegel, als die IrakerInnen im Theater an der Ruhr gastierten. In der Berliner Zeitung war zu lesen, bei der Frage nach dem Lehrwert des Berlin-Programms lege sich „stolze Abwehr“ auf die Gesichter der Gäste, da sie an ihren Akademien alles über das europäische Theater gelernt hätten und derzeit vielmehr am „Irakischen“ interessiert seien. Ein taz-Interviewwunsch zwei Wochen vor der Premiere wird abgewiesen, da „derzeit Handlungsunfähigkeit herrscht“. Gerüchte sagen, das Organisationsduo Giso Kakuschke und Awni Karoumi, das auch Regie bei „Fantastische Reise“ führen sollte, sei heillos zerstritten.

Nun sind Streitereien in Projekten nicht ungewöhnlich und Auseinandersetzungen in interkulturellen Projekten vorprogrammiert. Letztlich sind es sogar die Dissonanzen, die solche Begegnungen interessant und auf lange Sicht fruchtbar machen. Sträflich an „Berlin – Bagdad 2005. Irakisch-deutsche Theatervisionen“ ist deshalb vor allem, dass die Öffentlichkeit von den Diskussionen über die verschiedenen Visionen im Wesentlichen ausgeschlossen blieb. Selbst bei dem Gastspiel von Awatif Naims „Entschuldigung, werte Herren“, einem Stück über Nöte und Hoffnungen im Nachkriegsirak, bekamen die Zuschauer nur eine halbseitige Synopsis an die Hand. Darin stand, dass sich verschiedene Typen auf dem Marktplatz treffen, was sich jedoch selbst dem wenig Fantasiebegabten auf den ersten Blick erschloss.

Zu erfahren, mit welchen Argumenten diese Menschen mit- oder gegeneinander kämpfen, wäre ungleich lohnender gewesen. Noch ärger kam es für den, der eine Woche später im fiesesten Sommergewitter den Weg bis zum Schrebergarten des irakischen Kulturvereins in Berlin-Lichtenberg fand, um einen Vortrag „Zur Situation des irakischen Theaters“ und eine Diskussion seiner Theaterschaffenden zu hören: kein Dolmetscher. Wer nicht des Arabischen mächtig ist, konnte auf der Hacke kehrtmachen.

Es ist fast schmerzlich, wie „Berlin – Bagdad 2005“ die Gelegenheit verschenkt hat, einen Dialog zwischen der Berliner Öffentlichkeit und den irakischen Künstlern anzustiften. Ein anderes Gesicht des Irak zu zeigen als das der Kämpfer oder Elenden, die uns seit zweieinhalb Jahren aus dem Fernsehen entgegenblicken. Denn natürlich gibt es viel, worüber ein Austausch lohnte. „Das 21. Jahrhundert duldet nur noch eine Stimme, und das ist die Stimme der USA. Alles, was geschieht, geschieht nach ihrem Drehbuch“, sagt Awatif Naim mit resigniertem Trotz bei einem kurzen Gespräch, das dann doch noch auf der Probebühne möglich wurde. „Wir hatten die Hoffnung, aufatmen zu können. Aber was passiert ist, ist ein Albtraum. Der demokratische Wiederaufbau ist eine neue Form von Besatzung. Von Gefangenen unserer Heimat sind wir zu Gefangenen unserer Häuser geworden.“ Nicht zuletzt, weil die Autorin und Schauspielerin sich hier in Sicherheit bewegen und einen Schritt zur Öffnung des Iraks beitragen kann, ist sie über den Berlin-Aufenthalt sehr glücklich.

Heute Abend werden die Künstler aus Bagdad unter der Regie von Awni Karoumi in der Werkstatt der Kulturen ihr in Berlin entwickeltes Stück zeigen. Es trägt keinen Titel. „Fantastische Freiheit“ wollten sie es nicht nennen. CHRISTIANE KÜHL