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Archiv-Artikel

Schwarz-gelbes Chaos schon vor der Wahl

Politiker von Union und FDP werfen sich gegenseitig vor, den sicher geglaubten Wahlerfolg mutwillig zu gefährden

BERLIN afp ■ Knapp sechs Wochen vor der vorgezogenen Bundestagswahl verschärft sich angesichts sinkender Umfragewerte der Ton zwischen Union und FDP. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) warnte die Liberalen gestern vor einem Wahlkampf auf Kosten der CDU/CSU. Er meinte damit vor allem FDP-Generalsekretär Dirk Niebel, der mit Verweis auf die Mehrwertsteuer um Unionswähler warb. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle bezeichnete die von der Union geplante Mehrwertsteuererhöhung erneut als „politischen und ökonomischen Fehler“. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos rief die Liberalen zu mehr Geschlossenheit auf.

Bosbach mahnte, die derzeitige Strategie der Liberalen, Wähler aus dem Unionslager abzuwerben, sei der gemeinsamen Sache nicht dienlich. „Ich glaube, diese Strategie wird nicht besonders erfolgreich sein“, sagte er mit Blick auf die Abwerbeversuche Niebels. „Was haben wir davon, wenn die CDU ein, zwei Prozentpunkte verliert, die die FDP dann gewinnt.“ Der Unionsfraktionsvize forderte die Liberalen auf, im Wahlkampf den Schwerpunkt auf die Gemeinsamkeiten zu legen und nicht auf die Unterschiede.

Niebel verteidigte die Wahlkampfstrategie seiner Partei: „Wir fischen selbstverständlich auch im Lager der Union.“ Er sagte: „Unionswähler, die keine Erhöhung der Mehrwertsteuer wollen, sollten FDP wählen.“ Die Erhöhung sei „unsozial, ökonomisch unsinnig und psychologisch nicht sinnvoll“. Die Senkung der Lohnzusatzkosten könne auch durch „Effizienzgewinne“ in der Sozialversicherung erreicht werden.

Er erntete damit Zustimmung bei SPD-Fraktionsvize Joachim Poß. Niebel habe mit seiner Kritik „ausnahmsweise einmal völlig Recht“, erklärte Poß in Berlin. Der FDP-Generalsekretär mache mit seinen Äußerungen „schonungslos deutlich“, dass bei der Union eine „beunruhigend große Lücke“ in der Wirtschafts- und Finanzpolitik klaffe.

Westerwelle machte auf einer Veranstaltung in Dresden indirekt deutlich, dass an der geplanten Mehrwertsteuererhöhung bei einem schwarz-gelben Wahlsieg die Koalition mit der CDU/CSU nicht scheitern werde. Gleichzeitig warb er für eine starke FDP: „Wenn wir knapp über den Durst gewählt werden, können wir weniger durchsetzen.“ Die Kritik einiger Unionspolitiker an mangelnder Profilierung der FDP tat er als „Geplänkel“ ab. Zugleich kritisierte er die Union, ohne sie explizit zu nennen. Wenn er sich die jüngste Zeit des Wahlkampfes betrachte, „so sind die Patzer nicht von meiner Partei gekommen“.

Glos sagte in Berlin, die Union sei nach wie vor optimistisch, zusammen mit der FDP eine stabile Regierung zu bilden. Statt Überlegungen anzustellen, ob Westerwelle „der richtige oder falsche“ Parteichef sei, sollten die Liberalen besser geschlossen auftreten. Am Montag hatte eine Umfrage von Infratest dimap für Wirbel gesorgt. Demnach glauben 55 Prozent der FDP-Anhänger, mit einem anderen Parteichef hätten die Liberalen eine bessere Chance bei der Wahl.