: Der falsche Komplize
GEDANKENDIEBSTAHL David Albaharis Roman „Ludwig“ erzählt eine klassische Künstlergeschichte. Doch was zuerst klar erscheint, gerät mehr und mehr aus den Fugen
VON SONJA VOGEL
„Recht geschieht ihm, dachte ich damals, soll er doch alt aussehen wie ein durchgelaufener Schuh, wie ein faules Ei, wie ein in einem Gebirgsbach abgeschliffener Stein.“ Der namenlose Ich-Erzähler in David Albaharis neuem Roman „Ludwig“, einer Geschichte über exzessive Eifersucht, Verrat und Gedankendiebstahl, ist besessen von seinem ehemaligen Freund und Schriftstellerkollegen Ludwig. Schon das zufällige Aufschnappen seines Namens, erfahren wir, verursacht ihm quälende Übelkeit.
Alles begann mit Ludwigs knappem Lob für die Bücher des erfolglosen Erzählers. Der fühlte sich derart geschmeichelt, dass er Ludwigs Hand so lange schüttelte, bis dieser sie ihm entzog „und ohne jede Hemmung am Taschentuch abwischte“. Die Kränkung wird zur Routine. Allabendlich setzt sich nun der Erzähler Ludwig, von dem er nur „S“ („Ich weiß nicht, warum er sich ausgerechnet für diesen Buchstaben entschieden hat, der in meinem Namen überhaupt nicht vorkommt, vermute jedoch, dass es einen Grund dafür gab.“) genannt wird, in dessen Wohnung mit seinen Ideen für das Buch der Bücher auseinander. Das Buch, von Ludwig niedergeschrieben, wird zu einem Klassiker postmoderner Literatur, sein Autor zum umjubelten Star. Mit diesem „Betrug“ und einem gemeinsamen Talkshow-Auftritt, in dem sich „S“ vom Publikumsliebling Ludwig öffentlich herabgesetzt fühlt, endet die Freundschaft.
Betrüger mit Feingefühl
Bitter resümiert der Erzähler, er sei zu Ludwigs Sekretär geworden, zuständig für Post, Archiv und „die Endfassung seiner Texte“. Und: „Ich weiß, dass viele mir das nicht glauben werden, manchmal geht es sogar mir selbst so, zumal ich keine festen Beweise habe, dass alles sich so abgespielt hat, aber was hätte ich andererseits davon, es zu erfinden?“ Genau diese Frage drängt sich auch dem Leser auf.
Zumal Ludwig nicht nur als unverfrorener Betrüger gezeichnet wird, sondern auch als feinfühliges Genie. Diesen „Lu“ bewundert der Erzähler und mit ihm verbrachte er einen Teil seines Lebens, wohnte und aß mit ihm, teilte seine tägliche Lektüre, stand mit ihm Grimassen ziehend und kichernd vor dem Badezimmerspiegel. Als Ludwig sagt, er glaube nicht, dass sie ihr ganzes Leben miteinander verbringen könnten, fällt „S“ in Ohnmacht. Die Nachbarn vermuten ein schwules Paar. Der Erzähler hingegen betont die platonische Freundschaft, um sich über die homophobe Provinzialität seiner Stadt zu beklagen.
Die Ebenen von Erinnertem und Erlebtem nach und nach ineinander zu verschränken, ist eine Spezialität des in Jugoslawien geborenen Autors, der seit 1994 in Kanada lebt. Zwar gibt es in „Ludwig“ keine überraschenden Wendungen und auch der Plot, eine klassische Künstlergeschichte, scheint simpel. Mit der Konstruktion des Romans als absatzlosem Monolog hat Albahari jedoch eine Form gefunden, den Leser zunehmend in eine verstörende subjektive Wirklichkeit zwischen Normalität und Wahnsinn einzuspannen. Dass sich der Erzähler, dessen Verletzlichkeit man anfangs mit Empathie begegnet, um Kopf und Kragen redet, merkt man so erst zu spät.
Wieder und wieder durchlebt man mit ihm seine Erinnerungen, in Variationen, die die zunächst so klare Geschichte aus den Fugen geraten lassen. „S“ zum Beispiel ist besessen von einer Szene, in der er seine Ehefrau, leicht errötet, mit Ludwig antrifft. Für einen kurzen Augenblick liegt dessen Hand auf ihrer Taille. Diese Szene durchlebt er, bis die Verführung durch Ludwig zur Gewissheit wird. Und warum hat er das getan? Um „S“ zu erniedrigen? Zu vernichten? Einsam in die verblassenden Details seiner Vergangenheit verbissen, verliert der Erzähler die Realität aus den Augen.
Das Schweigen über das mutmaßliche Plagiat, enttäuschte Leidenschaft und Missgunst hören nicht auf, ihn zu verfolgen. Nächtelang wälzt er sich, stöhnt und krümmt sich, „wie ein Wurm bei der vergeblichen Mühe, den heruntergeschluckten Worten zu entkommen, ständig in Angst, dass sie eines Tages anfangen würden, tief in mir zu faulen, und dass ich fortan von Gestank umgeben wäre, den man bis zum Himmel und noch weiter spürte.“ Die eingangs wie von selbst sich ergebende Bewertung von Personen und Geschehnissen muss zurückgenommen werden. Somit bleibt unklar, was genau den gescheiterten Erzähler – im doppelten Wortsinn – quält.
Zuletzt bleibt man mit dem unguten Gefühl zurück, sich in die Komplizenschaft mit jemandem begeben zu haben, dessen grenzenlosen Kleingeist, zerstörerische Ignoranz und Machismo, man so gerne als liebenswerte Künstlermacke hatte missverstehen wollen.
■ David Albahari: „Ludwig. Roman.“ Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Eichborn, Berlin 2009, 152 S., 17,95 €