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Archiv-Artikel

Kosovos EU-Beitritt bleibt vorerst ein Traum

WESTBALKAN Am Mittwoch präsentiert die EU ihren Fortschrittsbericht zum Kosovo. Der dürfte zum Missfallen lokaler Politiker kritisch ausfallen. Beim Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption hapert es noch. EU-Mission hilft beim Aufbau des Rechtsstaates

„Da kommt auf die Regierung ein langer und schwieriger Verhandlungsprozess zu“

BOTSCHAFTER STEINBACH

AUS PRISHTINA GEORG BALTISSEN

„Jede Route in den Kosovo ist ein Schmuggelweg“, sagt Ives de Kermabon in seinem Hauptquartier in Prishtina. Der ehemalige General und derzeitige Chef der Eulex-Mission im Kosovo soll dem seit Februar 2008 unabhängigen Land nach dem Willen der Europäischen Gemeinschaft zu einem Rechtsstaat machen. Beim Kampf gegen Menschenhandel, Geldwäsche, Drogenschmuggel und die grassierende Korruption im Staatsapparat überwacht und berät Eulex die kosovarischen Behörden.

Seit April dieses Jahres verfügt de Kermabon über 2.600 Mitarbeiter aus 33 Ländern, die beim Zoll, der Polizei und im Justizapparat tätig sind. Die meisten von ihnen sind Polizisten. Bei Verbrechen der organisierten Kriminalität, bei Kriegsverbrechen und bei der Bekämpfung der Korruption hat Eulex sogar exekutive Funktionen und kann den einheimischen Behörden Untersuchungen und Verfahren aus der Hand nehmen. Das sei bisher aber nur in Ausnahmefällen geschehen, sagt de Kermabon.

An diesem Mittwoch legt die Europäische Gemeinschaft in Brüssel ihren Erweiterungsbericht vor. Präsident und Regierung des Kosovo sind der Ansicht, dass das Land schon in vier bis fünf Jahren in die EU aufgenommen werden könnte, obwohl die Aufnahmeverhandlungen noch gar nicht begonnen haben. Mit Kroatien, das kurz vor dem Beitritt steht, dauerten sie bislang 16 Jahre. Präsident Fatmir Sejdiu hält das für unnötig. „Wir haben den Vorteil, dass die Gesetzgebung europäischen Strukturen entspricht“, sagte Sejdiu in der vergangenen Woche vor deutschen Journalisten in seinem Amtssitz in Prishtina. „Unser Weg könnte deutlich kürzer verlaufen. Vielleicht denken einige, dass das nicht realistisch sei, aber wir möchten unseren Traum leben“, fügt er hinzu. Auch der Vizepremierminister Hajredin Kuci ist der Meinung, dass die Regierung alle erforderlichen Gesetze verabschiedet habe. Er spielt den Ball an die EU zurück. „Es liegt nicht am Kosovo, sondern an den Mitgliedsländern der EU, wie schnell Kosovo in die EU aufgenommen wird“, meint er.

Doch der so demonstrativ zur Schau getragene Optimismus dürfte am Mittwoch einen herben Dämpfer erhalten. In der diplomatischen Vertretung der EU in Prishtina will man den Bericht nicht vorwegnehmen, räumt aber ein, dass wohl nicht genug getan worden sei, um die Korruption und das organisierte Verbrechen zu bekämpfen, und dass der Bericht dies auch nicht beschönigen werde. Der deutsche Botschafter in Prishtina, Hans-Dieter Steinbach, der die europäische Perspektive für den Kosovo für zwingend hält, verweist darauf, dass die Kopenhagen-Kriterien den Nachweis einfordern, das jedes beitrittswillige Land Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft in praktische Politik umgesetzt habe. „Da kommt auf die Regierung noch ein langer und schwieriger Verhandlungsprozess zu“, resümiert er.

Wie schwierig dieser Prozess sein kann, macht ein Vorfall aus der vergangenen Woche deutlich. Der deutsche Polizeichef der Eulex in Prishtina, Rainer Kühn, kann über den Fall offen sprechen, weil er schon durch die Medien gegangen ist. Ein Gericht in Prishtina, dem zwei Eulex-Richter und ein einheimischer Richter angehörten, hatte drei Kriegsverbrecher zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Nur zwei Tage nach dem Urteil erklärte der einheimische Richter öffentlich, er sei von den Eulex-Richtern überstimmt worden, die Angeklagten hätten gar nicht verurteilt werden dürfen.

Dies sei nicht hinnehmbar, sagt Kühn. Ein Richter sei über das Zustandekommen eines Urteils zum Stillschweigen verpflichtet. Nach Ermittlungen der Polizei habe der Richter Morddrohungen erhalten, sagt Kühn. Auch sein Amtschef de Kermabon räumt ein, dass die Justiz in weiten Teilen korrupt sei. „Das trifft grundsätzlich zu“, sagt er.

Für die Polizei sieht Kühn nicht ganz so schwarz. Ihre Zahl sei von 177 im Jahre 1999 auf derzeit 7.500 gestiegen. Auch wenn ihre Ausbildung vielfach zu wünschen übrig lasse, seien gerade junge Polizisten bemüht, europäischen Standards zu genügen. Das Einsatzkonzept der Polizei beschreibt Kühn, der über rund 400 Sondereinsatzkräfte der Eulex-Polizei verfügt, so: In der ersten Konfliktstufe komme die kosovarische Polizei zum Einsatz. Wenn die einen Zwischenfall oder Unruhen nicht beilegen könne, werde die Eulex-Polizei eingesetzt. Könne auch die den Konflikt nicht lösen, stehe die KFOR-Truppe der Vereinten Nationen Gewehr bei Fuß.

„Überhaupt ist der Balkan ein sehr poröses Gebilde“, sagt General Markus Bentler

Für die Gesamtsicherheit im Lande, einschließlich der serbisch bewohnten Enklaven, ist daher letztlich nicht die Polizei, sondern weiter die KFOR zuständig. Der deutsche General Markus Bentler hat für ein Jahr das Kommando über die Truppen inne, die bis Januar von derzeit 14.000 auf 10.000 Mann reduziert werden sollen. Die Deutschschen stellen nach den USA die zweitgrößte Truppe im Kosovo. Bentler spricht von einem „Restunruhepotenzial“, da „noch nicht alle Sträusschen zwischen Kosovaren und Serben ausgefochten“ seien. „Ein brennendes serbisches Kloster wird Kosovo um Jahre zurückwerfen“, sagt der General. Deshalb werde die KFOR weiter Präsenz im Lande zeigen. Das macht sie auch mit riesigen Werbetafeln überall im Land, die den Einwohnern den Schutz der KFOR versprechen.

Derzeit geht die KFOR im Kosovo auch ganz neue Wege. Nach Angaben von Bentler bildet KFOR eine nicht militärische Freiwilligenarmee aus, die über eine leichte Bewaffnung verfügt. In zwei bis fünf Jahren sollen 2.500 Männer und Frauen die Ausbildung durchlaufen haben. Derzeit habe die Truppe eine Stärke von 1.300 Personen, von denen vier Prozent Frauen und rund acht Prozent Serben seien. Dass darunter auch ehemalige Untergrundkämpfer sind, will Bentler nicht ausschließen. Doch durchliefen alle Bewerber ein detailliertes Auswahlverfahren, psychologische Eignungstests inklusive. Vorerst solle die Truppe aber nur in der Katastrophenhilfe tätig werden.

Die Verringerung der KFOR-Truppen im Lande hält Bentler nur dann für geboten, wenn die zivile Sicherheit gewährleistet werden könne. Die Grenzstreitigkeiten zwischen Serbien und dem Kosovo seien aber nur sehr schwierig zu lösen. Es gebe auf dem Balkan Wege, die über Generationen hinweg gegangen worden seien. „Überhaupt ist der Balkan ein sehr poröses Gebilde“, meint der General.