: Ex-Kommunistin gegen Noch-Staatssekretär
taz geht wählen – die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Porträt. Wer kämpft um das Mandat? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Stadt Aachen
Stadt Aachen?Neben dem Kreis Aachen Land hat die City of Aachen einen eigenen Stimmbezirk. Der Wahlkreis 88 ist der westlichste Deutschlands, gelegen im Dreiländereck zu den Niederlanden und Belgien. Der Dom als Ex-Pfalzkapelle Karls des Großen, das historische Rathaus nebst Krönungssaal und der jährlich an Europas neue Helden verliehene Karlspreis weisen den Weg: Ohne den Kult um den Frankenherrscher und Sachsenschlächter wäre die selbst ernannte „Kaiser-“ und „Europastadt“ noch drögere Provinz. Auch wenn die CDU bei der Kommunalwahl 2004 aus der Verantwortung förmlich geprügelt und OB Jürgen Linden (SPD) nach etwa 15 Jahren erneut im Amt bestätigt wurde – die Unistadt ist eine heimliche CDU-Hochburg. Wer verteidigt den Wahlkreis?Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). „Ich bin froh über die neue Freude an der Politik und das Diskutieren über Inhalte“, kommentierte die geschiedene Mutter einer Tochter Bundespräsident Köhlers Entscheidung zu Neuwahlen. Die 56-Jährige gilt – trotz ihres Aachener Idioms – als geschickte Rednerin. Ministerin wurde die Ex-Lehrerin im Januar 2001. Später geriet die ehemalige Ortsvorsitzende vom Kommunistischen Bund Westdeutschland, die 1983 in die SPD eintrat und seit 1990 dem Bundestag angehört, in die Schlagzeilen. Sie hatte einst zur Finanzierung ihres Studiums in der Bar ihrer Schwester gekellnert – bekleidet übrigens. Überdies stimmte Schmidt 1993 entgegen dem Votum ihres Ortsverbandes für den „Asylkompromiss“.Wer will den Wahlkreis?Marcel Philipp (CDU). Der freut sich riesig, gegen Schmidt anzutreten, weil sie für die Politik der Schröder-Regierung stehe und das im Wahlkampf sicher feine Debatten gebe. Der 34-Jährige lebt mit Frau und kleiner Tochter im alternativen „Frankenberger Viertel“ und sitzt seit 1999 im Stadtrat. Als Maler- und Lackierer-Meister, geprüfter Restaurator und Betriebswirt mischt er im Familienunternehmen kräftig Farben an. Sein Vater Dieter Philipp ist Ehrenpräsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) und Präsident der Handwerkskammer Aachen. Der Stammhalter sitzt in Aufsichts- und Beiräten von Unternehmen der Region.Der große Außenseiter?Thomas Griese (Grüne), noch Staatssekretär im NRW-Umweltministerium. In Aachen holten die Grünen bei der letzten Landtagswahl 12,8 Prozent der Stimmen, bei der Europawahl 2004 sogar 22,4 Prozent und bei der letzten Kommunalwahl 17,6 Prozent sowie ein Direktmandat für den Stadtrat – übrigens in dem Viertel, in dem auch CDU-Mann Philipp direkt kandidierte. Andreas Müller (Linke/PDS) ist Druckereibesitzer in Duisburg.Die taz-Prognose?„Uns Ulla“, wie der Aachener sagt, kommt dank Sozialabbau und Hartz IV mindestens über einen sicheren Listenplatz auf die sichere Oppositionsbank. Den Rest machen Philipps WählerInnen klar. MICHAEL KLARMANN