: Bosse fliegen aus den Fenstern
Der Regisseur Stephan Bruckmeier lässt in der Zwei-Komponisten-Oper „Wischen – No Vision“ Putzfrauen Rache üben an korrupten Machtmenschen. Wie man mit einem gewissen Radikalwitz so wieder an die Zukunft denkt, hat er in Afrika gelernt
INTERVIEW ESTHER SLEVOGT
taz: An der Neuköllner Oper inszenieren Sie gerade die Oper „Wischen – No Vision“. Darin geht es um Putzfrauen – ein eher untypisches Opernthema.
Stephan Bruckmeier: Eigentlich geht es um Macht und um Liebe. Insofern ist es doch ein typisches Opernthema. Aber es stimmt, die handelnden Personen sind opernunüblich: zwei Putzfrauen und ein Putzmann. Und dann gibt es noch einen Chef und seinen Sekretär, die in ihrem Büro Dinge tun, die man eigentlich nicht wissen sollte, und dabei von den Putzfrauen überrascht werden. Und es gibt Tote!
Die Produktion ist aus einem Wettbewerb hervorgegangen.
Ja, und die beiden Komponisten Marc Seitz und Gerd Noack haben beide gleich gut abgeschnitten. Der Hauptwitz an dieser Produktion ist also, dass es eine Oper aus zwei völlig unterschiedlichen Kompositionen geworden ist. Marc Seitz’ Musik hat etwas sehr Swingendes, fast Musicalhaftes, während Gerd Noack zeitgenössische E-Musik geschrieben hat. Die Geschichte fängt zweimal gleich an und entwickelt sich dann völlig unterschiedlich.
Wie funktioniert das genau?
Los geht es immer morgens in einem Büroturm. Dann arbeitet sich das Personal von Etage zu Etage vor: Die Putzfrau geht von einem Zimmer ins nächste und sieht, was sie nicht sehen soll. Während der Proben wurden wir eingeholt von der Korruptionsaffäre bei Volkswagen, diese Prostitutionsgeschichten. Wir dachten: Das ist ja schon lustig. Wir machen hier eine Oper und in der Zeitung steht die Inhaltsangabe dazu!
Es ist also eine Politoper?
Es geht um Geheimgeschäfte, Perversion, versuchte Vergewaltigung – also wahnsinnig drastische Themen. Allerdings versuchen wir, das auf eine sehr clowneske und komödiantische Weise darzustellen: ls Mischung von Monty Python, Buster Keaton und Charlie Chaplin. Wir wollen keine Sozialstudie oder Doku-Oper machen, sondern anhand der Figuren mit einem gewissem Radikalwitz ein Weltprinzip zeigen.
Welches?
Dass Leute, die an der Macht sind, schnell übersehen, dass es außer ihnen noch andere gibt. Und dass man sich dagegen wehren kann: Am Ende werden die Bosse aus dem Fenster geschmissen.
Vorher haben Sie Schillers „Räuber“ am Teatro Avenida in Maputo inszeniert, das berühmt ist, weil dort auch schon der schwedische Krimiautor Henning Mankell Regie geführt hat. Wie kamen Sie mit Schiller nach Afrika?
Ich war im letzten Jahr Künstlerischer Leiter des Donaufestivals, das wir zum 10. Jahrestag des Apartheid-Endes Südafrika gewidmet hatten. Deswegen konnte ich dann von Österreich aus Kontakte nach Afrika knüpfen, lernte über die Regisseurin Renate Jetteben auch die Intendantin des Teatro Avenida in Maputo, Manuela Soeiro, kennen. Ich habe damals gleich gedacht: Man müsste hier eigentlich „Die Räuber“ machen, weil dieses Sturm-und-Drang-Stück wahnsinnig gut zur Aufbruchstimmung in diesem Land passt. Über das Theater in Maputo traf ich dann Mia Couto, der in Mosambik ein bekannter Autor ist. Er hat dann eine Fassung geschrieben, die die gemeinsame jüngere Geschichte von Deutschland und Mosambik thematisiert – zwischen 1975 und 1989 waren ja über 20.000 Mosambikaner zum Studieren oder Arbeiten in der DDR. Couto hat vor diesem politisch-gesellschaftlichen Hintergrund Schillers Stück in den afrikanischen Alltag gestellt.
Wie war die Arbeit in Maputo?
Es ist eine wahnsinnig tolle und kulturintensive Stadt, voller verschiedener Einflüsse. Als ich einmal während der Proben darüber reden wollte, wie man in Mosambik mit der Kolonialgeschichte klarkommt, fiel dieser wunderbare Satz: „Die Vergangenheit ist eure Sache. Wir Afrikaner müssen an unsere Zukunft denken.“ Den haben wir gleich in das Stück eingebaut. Für mich eine befreiende Erfahrung. Ich muss da wieder hin!
Wie war es, danach wieder nach Deutschland zu kommen?
Auf welchem Niveau man leiden kann! In Mosambik gibt es große Armut, aber man merkt sie gar nicht so. Überall herrscht Aufbruchstimmung. Man hat das Gefühl: Die wollen irgendwo hin und die werden es auch erreichen. Das Klima hier führt eher dazu, dass man als Künstler gar nicht ernst genommen wird, wenn man nicht ein bisschen depressiv ist und in Katastrophen wühlt.
Wie sehen Sie sich also selbst als Künstler und Theatermacher?
Ich will vor allem Freude machen. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich in einem Wirtshaus aufgewachsen bin, in einem Ausflugslokal im Wienerwald, das schon mein Urgroßvater gebaut hat. Es war bei uns immer wichtig, dass die Leute sich wohl fühlen und wieder kommen. Deswegen will ich auch bei meinen Inszenierungen immer, dass den Leuten meine Kost schmeckt, auch wenn sie manchmal deftig, eckig und schockierend ist.
Ab Donnerstag gibt es also Ihre erste Berliner Regiearbeit zu sehen. Was hat es mit dem Titel auf sich?
Der stammt von dem Autor Andreas Bisowski und ist natürlich ein Wortspiel, dieses „Wischen – No Vision“. Die Non-Vision ist, dass sie immer wieder kommen, die Bösen, auf jeder Etage. Aber die Vision ist: Man kann sie besiegen, man kriegt sie immer wieder weg. Auch als Putzfrau.
„Wischen – No Vision. Eine Raumpflege in zwei Teilen“. Neuköllner Oper. Termine: 11., 13., 14., 18.–21., 23., 25. und 30. August, 7.–10. September, jeweils 20 Uhr