„Er lässt sich nicht unterkriegen“

ANTISEMITISMUS Menschen in Schöneberg solidarisieren sich nach Übergriff auf Rabbi mit dem Opfer

Peter Sommer hat es aus der Zeitung erfahren und ist sofort aus Zehlendorf hergefahren: „Scheiße – so was darf einfach nicht sein!“, sagt Sommer. Er will seine Solidarität erklären. Jetzt steht der 74-Jährige genau da, wo es passiert ist.

Am Dienstagabend traf Rabbi Daniel A. nach Auskunft der Polizei auf vier mutmaßlich arabische Jugendliche. A., der mit seiner sechsjährigen Tochter unterwegs war und eine Kippa trug, wurde gefragt: „Bist du Jude?“ Als er bejahte, schlugen sie ihn zusammen und bedrohten seine Tochter mit dem Tod. Die Täter brachen ihm das Jochbein, die Polizei fahndet. Der Tatort liegt bei Friedenau – der Schöneberger Stadtteil ist nun plötzlich bundesweit bekannt.

Friedenau ist eigentlich meist so, wie der Name klingt: friedlich, etwas verschlafen, ein Jugendstilbau reiht sich an den nächsten. In den Nebenstraßen gibt es Physiotherapeuten, medizinische Fußpflegesalons und Buch- und Delikatessenhändler. Die Bewohner sind gutbürgerlich und mögen es kulturell. Literaturnobelpreisträngerin Herta Müller soll hier wohnen, früher logierten auch Günter Grass und Erich Kästner im Kiez. Jetzt laufen Journalisten mit Kameras die Straßen ab. Der italienische Wirt, vor dessen Lokal der Angriff passiert ist, kann den Ansturm kaum noch bewältigen. „Wir haben nicht mal Zeit, zur Toilette zu gehen“, sagt er. „So viel war hier noch nie los“, ergänzt ein Kellner. Alle würden die gleichen Fragen stellen – dabei hätten sie nichts gesehen.

Ein Nachbar von Rabbi A. weiß mehr: „Ihm geht es gut, ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Wir haben Blumen gebracht. Er lässt sich nicht unterkriegen“, sagt Hermann Dreer. Auch die Kippa, die typisch jüdische Kopfbedeckung, wolle er weiter tragen. Dreer wohnt seit Jahren eine Etage über dem Rabbi. „Wir wollen zeigen, dass solche Angriffe hier nicht geduldet werden“, sagt er. Rentner Sommer schüttelt Dreer begeistert die Hand. Dreer hat mit Anwohnern eine Gruppe gegründet, sie beraten über Maßnahmen gegen antisemitische Gewalt. „Vier arabische Jugendliche sind schon öfter aufgefallen“, berichtet er. Erst vor einigen Tagen hätten sie einer Frau an den Busen gegrapscht. Weitere Probleme mit Jugendbanden gebe es nicht, sagt Dreer. Das war vor zwei Jahren anders. Da war der Dürerplatz, direkt an der Autobahn und am S-Bahnhof Friedenau gelegen, eine Art Brennpunkt. Seit die Mieten dort gestiegen sind, hat sich das gelegt. LAURENCE THIO

Gesellschaft + Kultur SEITE 14