Arbeit in einem Klima der Angst

MEDIEN Recherchieren in Syrien ist schwierig. Welche Zahl stimmt denn nun?

AUS ANKARA JASPER MORTIMER

Der Mann am Nebentisch in einem Café in der Innenstadt von Damaskus begrüßte einen alten Freund und sagte zur Eröffnung des Gesprächs: „Hier sind keine Journalisten.“ Ich starrte ihn aufmerksam an und fragte mich, ob er selbst ein Journalist sei. Mein Arabisch war nicht gut genug, um den Rest dessen zu verstehen, was er sagte, aber ich beschloss, meinen Beruf für mich zu behalten.

Dieses Klima der Angst behindert die Arbeit von Journalisten in Syrien ernsthaft. So ist es unvermeidlich, dass Berichte Fehler enthalten und einseitig sind, weil sie nicht alle Beteiligten eines Vorfalls befragen können.

Kurz nach Beginn des Aufstands veranstaltete beispielsweise eine Gruppe junger Leute im Mai 2011 ein ruhiges Protest-Sit-in im Zentrum von Damaskus. Ich war in der Nacht in der Stadt, hatte davon aber nichts mitbekommen. Die BBC berichtete aus dem Libanon, „Hunderte“ hätten teilgenommen. Die New York Times schrieb, es habe sich um 250 Protestierende gehandelt, von denen 32 festgenommen worden seien. Ein Menschenrechtsaktivist sagte mir, er habe die Aktion gesehen. Es hätten etwa dreißig Personen mitgemacht, von denen sechs festgenommen worden seien. Ich nannte diese Zahlen in meinem Bericht für France24.

Welcher Sender oder welche Zeitung hatte recht? Ich weiß es nicht. Angesichts der umfassenden Einschränkungen der Berichterstattung kann es uns allen passieren, dass wir von den wenigen Leuten, die bereit sind, mit uns zu sprechen, getäuscht werden. Wie viele Protestierende wurden festgenommen? Diese Angaben kommen normalerweise von der Polizei, aber wenn ich sie angerufen hätte, hätten sie mich sehr schnell aufgesucht.

Beschränkungen habe ich auch erlebt, als ich dieses Jahr wieder von der Türkei aus in die Gebiete im Nordwesten Syriens eingereist bin, die von der Freien Syrischen Armee kontrolliert werden. Aber diese Einschränkungen lagen größtenteils an mir selbst. Ich entschied mich, nicht in Syrien zu übernachten, lieber kurze Abstecher in das Land zu machen und abends in die Türkei zurückzukehren, nachts meine Berichte zu schicken und ruhig zu schlafen. Die Rebellen gaben mir Transportmöglichkeiten, häufig auf dem Rücksitz eines Motorrads, und sorgten für meine Sicherheit. Einmal brachten sie mich schnell aus der Ortschaft Salkin bei Idlib, als ein Konvoi von syrischen Soldaten in die Stadt einrückte und fragten, wo die Journalisten seien.

Daher blieb ich nie lange genug, um ein Netzwerk von Informanten aufzubauen, mit denen ich Fakten hätte überprüfen können. Man musste halt die wichtigsten Fragen – wie viele wurden getötet? – möglichst vielen Leuten stellen und fragen, woher sie das wissen.

■ Jasper Mortimer ist freier Journalist und war wiederholt in Syrien