wortwechsel
: Ist Kritik an Israel verfassungsfeindlich?

Über den Streit um BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), das 365-Euro-Jahresticket, Wahlen in Österreich und die Unmöglichkeit, mit Nazis zu sprechen

Foto: Stefan Zeitz /imago

Mit Rechten reden?

„Streitgespräch mit Ex-Polizisten“,

taz.de vom 2. 10. 19

Ich breche doch nicht wegen meiner 99-jährigen Nazi-Oma, die heute noch rassistisch und extrem national ist, mit der ganzen Familie, damit dann jemand aus der taz kommt und meint, solange Nazis nicht organisiert sind, könne man mit ihnen reden! Wie subtil deren Ansichten wirken und in das Denken der Menschen einfließen, kann ich leider in der eigenen Familie erleben. Darauf kann ich verzichten. Als Sohn eines Polizeibeamten gleich doppelt, denn auch die ticken nach jahrelangem Dienst mit ihrem fürchterlichem Korpsgeist auf eine bestimmte Art. Sich immer nur im linken Kanon bewegen ist auch nicht das Gelbe vom Ei, das heißt aber nicht, dass man mit Rechten reden muss. Das habe ich bei meiner Oma schmerzhaft erfahren dürfen.

Karsten Neumann, Nürnberg

Irreführende Grafik

„Nicht recht grün“,

taz vom 1. 10. 19

Es ist schön, dass die taz mit Ralf Leonhard einen sachkundigen und klugen Österreich-Berichterstatter hat. Das sollte man auch dazu nutzen, ihn zu fragen, welche Grafik man denn abdrucken sollte. Die abgedruckte Grafik zeigt das Wahlergebnis ohne die Briefwahlstimmen, die erst im Verlauf dieser Woche ausgezählt werden, und ist deshalb wenig aussagekräftig und irreführend. Es liegt schon seit dem Wahlabend die Hochrechnung unter Einbeziehung der Briefwahlstimmen vor, die sehr verlässlich ist und erfahrungsgemäß um weniger als ein halbes Prozent vom Endergebnis abweicht. Diese Hochrechnung hätte man abdrucken sollen. Vor allem die Grünen werden im Endergebnis erheblich stärker sein, ÖVP und FPÖ dagegen schwächer.

Die Wahlbeteiligung ist auch nicht, wie im Info-Kasten behauptet, von 80 auf 60,6 Prozent gesunken – diese Zahlen hätten schon stutzig machen müssen; es fehlten einfach die Wahlkartenstimmen – sondern auf etwa 75 Prozent. Viele FPÖ-Wähler sind zu Hause geblieben. Dass ihr Parteichef die Republik an Oligarchen verhökern wollte, hätten sie ja noch toleriert, nicht aber, dass der Strahlemann der kleinen Leute sich die Geldbündel in die eigene Tasche gestopft hat.

Peter Neuwerth, Hinterzarten

Kampfwort Antisemitismus

„Fall für den Verfassungsschutz?“,

taz vom 30. 9. 19

Ja, in Deutschland kreist die Debatte über das Kampfwort Antisemitismus. Eigentlich kreist sie damit stets über uns Deutsche selbst. Sind wir auf der Seite der „Guten“? Wenn wir Israel bedingungslos unterstützen, machen wir ja nichts falsch, und die Antwort ist deshalb: Ja. Obwohl immer behauptet wird, man dürfe Israel kritisieren, bleibt dies eine hohle Phrase, denn wie sich eine solche Kritik anhört, um einwandfrei als nicht antisemitisch diffamierbar zu gelten, bleibt immer aus. Je offensichtlicher die PalästinenserInnen entrechtet werden und sich ihre Hoffnung auf einen eigenen Staat zerstört, da das durch Siedlungsbau und Landraub verunmöglicht wird, desto lauter wird das Geschrei, sie und ihre internationalen UnterstützerInnen als antisemitisch zu dämonisieren, wenn sie mittels der gewaltfreien Boykottbewegung Druck auf die israelische Politik ausüben. Die PalästinenserInnen haben ein völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Widerstand, und sie haben auch das Recht, um die Hilfe der internationalen Zivilgesellschaft zu bitten. Diejenigen, die meinen, auf der Seite der „Guten“ zu stehen, indem sie das Unrecht, das an den PalästinenserInnen begangen wird, ignorieren, sind in Wirklichkeit nur gut im Wegsehen.

Manuela Kunkel, Stuttgart

Zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit

„Fall für Verfassungsschutz“,

taz vom 30. 9. 19

Danke für diesen Artikel! Ich frage mich schon lange, warum der laute Protest gegen die zunehmende Einschränkung der Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausbleibt. Ist es die Angst vor dem antisemitischen Brandmal, das die meisten Deutschen angesichts der Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen in Israel komplett verstummen lässt? Ist es die nicht aufgearbeitete deutsche Geschichte, die einen SPD-Innensenator über die Verfassungsfeindlichkeit von „grundsätzlicher Kritik“ an Israel schwadronieren lässt?

Haben Politik und Medien jetzt gesiegt, weil ihre Analogie „BDS = antisemitisch“ endlich Früchte trägt? Für die israelische Regierung ist BDS eine „erstrangige strategische Bedrohung“, die es im Inland wie im Ausland mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Dementsprechend hat der Vorsitzende der zentristischen Partei Jesch Atid im Juni 2015 vor der UNO unmissverständlich klargestellt: „Wir müssen von der Verteidigung zum Angriff übergehen und der Welt erklären, dass die Leute hinter dem Boykott dieselben sind, die ganze Bevölkerungen unterdrücken und im Niger und Syrien Kinder töten.“ Über die bisherigen Erfolge bei der Bekämpfung von BDS freuen sich viele Rechte in Israel und bei uns, und wenn BDS dann ganz verboten wird, haben sie den vollen Sieg errungen. Das gilt es zu verhindern.

Annette Groth, Günter Rath Stutgart

Differenzierte Berichterstattung

„Streit um Nelly-Sachs-Preis“ und „Fall für den Verfassungsschutz?“,

taz vom 27. 9. 19 und 30. 9. 19

Ihr Artikel verdient Lob, versucht er doch eine differenzierte Berichterstattung in vergifteter Atmosphäre um die seit 2005 von palästinensischen NGOs ausgehende BDS-Kampagne.

Allerdings erscheint mir eine nicht unbedeutende Ergänzung notwendig, wenn Stefan Reinecke schreibt: „Shamsies Bücher hingegen werden nicht ins Hebräische übersetzt, weil die Autorin nicht mit israelischen Verlagen zusammenarbeiten will.“

Richtig hingegen ist, dass Kamila Shamsie unmissverständlich ihre Weigerung eines Erscheinens ihrer Bücher in Israel auf „vom Staat Israel abhängige Verlage“ bezieht, was die Nobelpreisträgerin angesichts zumindest des Regierungskritik-kritischen Verlages der Tageszeitung Ha’aretz zum Überdenken ihrer angesichts Israels schwerer Verletzung der Rechte der Palästinenser verständlichen Entscheidung der Nobelpreisträgerin veranlassen sollte bzw. könnte. Das allerdings obliegt allein Frau Shamsies Entscheidung, soweit die Unabhängigkeit des genannten Verlages tatsächlich vorliegt.

Günter Schenk, Strasbourg

Pendlerpauschale/ Jahresticket

„Ich bin Olaf Scholz nicht ähnlich“,

taz vom 30. 9. 19

Die Philosophie von Klara Geywitz kann nicht ganz überzeugen. Zum einen erscheint das Argument der „sozialen Gerechtigkeit“ für die dürftigen Ziele beim Klimaschutz doch etwas vorgeschoben, da bei der Erhöhung der Pendlerpauschale, egal wie man es dreht und wendet, vor allem besser verdienende Haushalte die Gewinner sind.

Zum anderen bleibt die Brandenburger Politikerin leider doch in einem wesentlichen Punkt Olaf Scholz sehr ähnlich, da bei ihr jegliche kreative Idee fehlt, um ein nachhaltiges gesellschaftliches Umdenken über positive Anreize voranzutreiben. Deshalb muss hier noch erheblich nachgebessert werden, wie zum Beispiel mit dem Vorschlag, dass der Bund die Kommunen bei der Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets im öffentlichen Nahverkehr finanziell unterstützt, zumal davon sehr viele Arbeitnehmer profitieren würden, die zur Kernklientel der SPD zählen!

Rasmus Ph. Helt, Hamburg