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Im Namen von Nudel und Wissenschaft

Mit Piratenhüten und albernen Namen hinterfragt die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters die Privilegien der Kirchen. Beim Jahrestreffen in Osnabrück bekam das satirische Projekt mehr Zustimmung als Ablehnung – doch die Anhänger des Spaghettimonsters wollen mehr: die Anerkennung als Weltanschauungsgemeinschaft

Aus Osnabrück Lotta Drügemöller

Die warme Fönluft ist ganz angenehm an diesem eingeregneten Samstagnachmittag in Osnabrück – wäre da nicht der Geruch. Staub von tausend Jahren, mindestens, kommt aus dem kleinen Gerät – aber vermutlich ist das gar nicht die Fönluft selbst, sondern die Überreste des kirchlichen Rituals, die hier weggeweht werden: Mit dem „Debaptister 2000“ enttauft ein Mann in einem seltsamen Piratenkostüm willige PassantInnen. „Das ist evangelisch“, stellt er fest und reibt ein wenig über die Stirn der frisch Enttauften, „ist schon fast weg. Katholisch ist da hartnäckiger.“

„Pastafari“ nennen sich die Leute, die an diesem Nachmittag durch Osnabrück ziehen. Das Wort ist eine Kombination aus „Pasta“ und „Rastafari“, und die sich so nennen, sind Anhänger des Fliegenden Spaghettimonsters – einer erfreulich undogmatischen Gottheit, die ihre Fans zu Nudelkonsum und Piratenkostümen ermuntert, ihnen Biervulkan und Stripperfabrik (was immer das ist) im Jenseits in Aussicht stellt und mit acht menschenfreundlichen „Am liebsten wäre mir’s“ statt fester Gebote agiert.

Das klingt ein bisschen, als hätten postpubertäre Internetnerds zu viel Terry Pratchett oder Douglas Adams gelesen. Und sicher, die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters ist ein Internetphänomen – doch bei aller gewollten Witzischkeit eines mit einem ernsten Anliegen. Der 25-jährige Physiker Bobby Henderson aus Kansas entwickelte die Religionsparodie 2005 in Reaktion auf den christlich fundamentalistischen Kreationismus.

Während die Kreationisten forderten, ihre Theorie des „Intelligent Design“ gleichberechtigt mit der Evolutionstheorie an Schulen zu unterrichten – schließlich sei sie nicht widerlegt – wandte sich Henderson in einem offenen Brief an die Schulbehörden: Da Präsident Bush sich so offen gegenüber alternativen Theorien der Weltentstehung zeige, möge doch bitte auch seine Religion vom Fliegenden Spaghettimonster gelehrt werden, die ebenfalls nicht widerlegt sei.

Die Religionsparodie fand schnell weltweit Anhänger, längst gibt es ein Evangelium des Propheten Henderson, in Neuseeland ist sie als eigene Religionsgemeinschaft anerkannt und in Deutschland folgen der Kirche 12.600 Menschen auf Facebook.

„Hört die wahrhaft nahrhafte Religion“, ruft der Pastafari-Priester, der die Passanten vorhin enttauft hat, auf dem Weg durch die Osnabrücker Innenstadt. Ein anderer schlägt dazu aufs Nudelsieb. „Ay!“ und „Arr!“ rufen die Pastafari zurück. Die Piratenhüte mit ihren breiten Krempen machen sich ganz gut an diesem Tag, an dem der Regen nur kurze Pausen macht. Von Kirche zu Kirche zieht die Prozession, bis zur Heiligen Nudelmesse vor dem Theater. Eigentlich hätte man ja gern vor dem benachbarten Dom gesprochen – doch das wollte der Bischof lieber nicht.

Kein Wunder, denn in Deutschland verfolgen die Pastafari andere Ziele als in den USA: Es ist die Verquickung von Staat und Religion, die die deutsche Kirche des Heiligen Spaghettimonsters zum Kern ihrer Kritik macht. Über 500 Millionen Euro zahlt der deutsche Staat laut Humanistischer Union jedes Jahr an Gehältern für Bischöfe und Pfarrer – nicht über die Kirchensteuer, sondern aus dem allgemeinen Staatshaushalt. Das Ganze ist eine Entschädigung für Enteignungen der Kirche durch das deutsche Kaiserreich im 19. Jahrhundert. Eigentlich, so sah es schon die Weimarer Verfassung von 1918 vor, sollten diese Ausgleichszahlungen im Laufe der Jahre eingestellt werden – aber es ist ja auch erst ein Jahrhundert vergangen.

Etwa 500 Pastafari in Deutschland ist die Kirche des Heiligen Spaghettimonsters so wichtig, dass sie Vereinsmitglieder sind. In Norddeutschland haben sich SympathisantInnen in Hamburg und Aurich, in Stuhr, in Rostock und Hannover eingetragen; Osnabrück aber ist so etwas wie das norddeutsche Zentrum der Religion, etwa einmal im Jahr gibt es hier eine Nudelmesse. An diesem Samstag ist es sogar das bundesweite Jahrestreffen, das hier stattfindet. Trotzdem laufen nur etwa 30 AnhängerInnen durch die Innenstadt. Andere Regionen, Nordrhein-Westfalen etwa und Berlin, sind besser aufgestellt.

Die geringe Größe der Demo wird durch Auffälligkeit wettgemacht. Einige TeilnehmerInnen tragen nur die roten Werbehüte einer Whiskeymarke, die meisten aber sind ausgestattet mit prachtvollen Dreispitzen, samtenen und ledernen Piratenmänteln, groben Lederstiefeln, Knüpfhemden und Pluderhosen. Schließlich, so weiß Prophet Henderson, hängt die Klimaerwärmung direkt mit dem Rückgang der Piraten von 35.000 auf 17 zusammen.

Für die meisten Pastafari der Osnabrücker Prozession kam zuerst die Religionskritik, erst danach die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters. Einige waren zuvor schon Mitglied in der ­Giordano-Bruno-Stiftung, die sich für eine strikte Trennung von Staat und Kirche einsetzt; andere wählen die Humanistische Partei; und viele hatten ihren Erstkontakt zur Spaghettimonster-Kirche bei den „Ketzertagen“, die in den vergangenen beiden Jahren parallel zu den Kirchentagen in Münster und Dortmund stattfanden.

Neben der Überzeugung spielen manchmal persönliche Beweggründe in das Engagement gegen die Macht der Kirchen. Jenny Mohr redet sich in Rage. „Nächstenliebe, von wegen!“, schimpft sie. „Ich als Ungetaufte galt in der katholischen Grundschule nicht als Kind Gottes und musste mir selbst meine Oblaten ausschneiden. Ich wurde dann rausgeschmissen.“

Auch in der Kirche des Spaghettimonsters gibt es Diskussionen, so ist es nicht. So hat sich in Neuseeland, wo die Kirche als Religionsgemeinschaft eingetragen ist, Spaghetti-Päpstin Karen Martyn gegen die „Kleine-Jungs-Träume“ von Stripperfarbrik und Biervulkan gestellt. Rüdiger Weida, Ehrenvorsitzender des Spaghettimonster-Vereins, irritiert das. „Wir sind keine Religion, wir sind eine Religionsparodie. Und da müssen wir in der Stripperfabrik eigentlich noch eine BDSM-Abteilung einführen, um die ganze Lächerlichkeit aufzuzeigen.“

Unterdessen dreht der Pastafari-Priester so würdevoll wie möglich ein dicht beschriebenes Nudelholz. „Ich glaube an das Fliegende Spaghettimonster, die Mutter, der niemals die Energie ausgeht“, deklamiert er, „und glaube an Bobby Henderson, seinen Propheten, geboren von seiner lieben Mama, gelitten unter Kreationisten, genervt, gelangweilt und veralbert, hinabgestiegen in das Reich des Fundamentalismus, am dritten Tage aufgestanden zwischen Deppen.“

Viele Zuschauer erreicht er heute vor dem Osnabrücker Theater nicht, aber die zwei Handvoll, die da sind, bleiben trotz des wieder einsetzenden Regens stehen, einige rezitieren sogar die Verse nach: „Zu parodieren die Dummen und die Drögen. RAmen!“, wiederholt Henric Dierkes. Er will gleich das Angebot der mobilen Enttaufung wahrnehmen. „Das hätt’ich allerdings gerne schriftlich“, sagt er – denn die Kirche erkennt „Enttaufungen“ und ähnliches nicht an. Einmal getauft, immer dabei.

Die Nudelmesse schaut er sich gern an, die Demo davor dagegen war ihm zu radikal. „Ich kenne viele Menschen, denen ihr Glauben viel bedeutet“, erklärt er. „Hier zu demonstrieren, finde ich für mich nicht richtig.“

Tatsächlich kommt es immer mal wieder vor, dass Gläubige sich an den Spaghettimonster-Anhängern reiben. Einer der Pastafari erzählt, wie ein Passant sich vor einer Prozession in Dortmund auf den Boden geworfen hat, um für – oder auch gegen – sie zu beten. An diesem Tag ist in Osnabrück da nur der türkische Geschäftsmann, der still mit dem Kopf schüttelt; der russische Geiger, der sich das Pamphlet übersetzen lässt und skeptisch schaut. Und die offenbar erzürnte alte Frau, die unwirsch abwinkt, als sie nach ihrer Meinung gefragt wird: „Sie können mir was erzählen, aber ich höre es nicht.“

Mittlerweile hat ein Pastafari die Bühne übernommen, der sich Bruder Spaghettus nennt. Er predigt von „Seiner nudeligen Heiligkeit“, stellt ein paar Wunder vor und plaudert nebenbei davon, wie die Kirchen in Deutschland sich vom Staat finanzieren lassen und wie sie das Geld ausgeben, „statt die Knete in Freibier und Nudelgerichte zu stecken“.

Eine Frau mit kurzen grauen Haaren nickt. „Ich bin auch gegen diese Vermischung von Staat und Kirche“, erzählt sie. Angesichts der Missbrauchsfälle und der mangelnden Aufarbeitung hat sie sich geschockt von der Kirche abgewandt. Ihren Namen nennen möchte sie lieber nicht. „Vielleicht ist das ein bisschen feige, aber die haben ganz schön viel Einfluss. Ich bin auch noch berufstätig“, erklärt sie.

Bei der Nudelmesse teil der Priester Spaghetti aus. Inzwischen hat sich Dierkes enttaufen lassen. „Anregend und lustig“ findet er die Messe, die Schilder, die Reden. Ob er immer noch nicht auf die Demo gehen würde? Er wägt ab. „Ich muss mich noch mal damit beschäftigten“, sagt er schließlich. Sein Bruder arbeite bei der Caritas – ob die da wirklich so viel öffentliche Gelder bekämen?

Seit Jahren versucht die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters, in Deutschland als Weltanschauung anerkannt zu werden, eine erneute Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte steht an. Denn wenn die Spaghettimonster-Kirche zumindest ähnliche Rechte wie die Altkirchen bekäme, könnte das zur Erkenntnis führen, dass die Privilegien für Religionen in einem säkularen Staat generell nicht gerechtfertigt seien, so Winfried Rath, der den Verein als Anwalt vertritt und mit den anderen danach noch in der Kneipe sitzt. Es wird nicht nur Bier getrunken, sondern auch Tee, die Zahl der veganen Bestellungen bringt den Abläufe in der Kneipe etwas durcheinander.

Auch die Philosophin und Theologin Daniela Wakonigg ist da, sie bereitet derzeit ein Gutachten vor. Danach vertritt die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters eine Strömung des evolutionären Humanismus – eine Art „wissenschaftliche Religion“, in dem der Mensch im Zentrum der Erklärung steht.

„So haben wir Zweifel an allem, ja sogar, Monster möge es verhüten, an seiner Existenz“, sagt Bruder Spaghettus. „Da sagen uns die Leute: Wenn ihr kein Dogma habt, wenn ihr niemanden umgebracht, nicht einmal jemanden angespuckt habt, dann seid ihr ja gar keine richtige Religion. Naja.“

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