: Hilfe zum Stolpern
VORSICHT, STUFE Die Konzeptkünstlerin Ceal Floyer arbeitet mit der Vorstellungskraft des Publikums – in den Kunst-Werken und der Humboldt-Uni
Studenten der Humboldt-Universität empfängt im Foyer des Hauptgebäudes Unter den Linden seit Jahren eine Mischung aus gedämpft angestaubtem Klassizismus und intellektuellem Pathos. Wer im Vorhof mittig Hermann von Helmholtz und seitlich Max Planck sowie an der Straßenfront die Gebrüder Alexander und Wilhelm von Humboldt hinter sich gelassen hat, muss beim Anstieg in den ersten Stock noch die elfte These von Karl Marx gegen Ludwig Andreas Feuerbach über sich ergehen lassen. Auf der Stirnwand prangt in goldenen Lettern auf rotem Marmor: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“
Nach der Wende wurde diese Inschrift aufs Heftigste interpretiert und diskutiert, denn nach 40 Jahren DDR schien ihr Schöpfer nicht mehr wirklich gut gelitten. Dennoch hatte sich die Universitätsleitung seinerzeit entschieden, den utopischen Gedanken ihren Studierenden weiterhin mit auf den Weg zu geben. Und das nicht nur bis ins erste Obergeschoss. Zum 200. Geburtstag der Berliner Universität wurde nun die Künstlerin Ceal Floyer ausgewählt, das denkmalgeschützte Entree inklusive der einst umstrittenen These mit einer künstlerischen Intervention zu kontextualisieren.
Ceal Floyer ist es gelungen, die universitären Vorgaben aufzunehmen, sich selbst aber treu zu bleiben. Zurzeit zeigt sie ihre Installationen, Skulpturen und Rauminterventionen noch in den Kunst-Werken in der Auguststraße. Dort stellt sie ihre humorvolle und vermeintlich simple Konzeptkunst in einer großen Solo-Show vor. Doch Floyer macht es sich nicht einfach. Auch wenn es manchmal so aussieht. Die 1968 im pakistanischen Karatschi geborene und seit einigen Jahren in Berlin lebende Britin macht es auch uns nicht einfach. Denn wie kaum eine andere Künstlerin arbeitet sie aktiv mit den Erfahrungen, dem Vorstellungsvermögen und der Fantasie des Publikums. So besteht ein Werk lediglich aus einem an die Wand geklebten Einkaufszettel: Alle aufgelisteten Waren teilen die Eigenschaft, weiß zu sein, und könnten sich in der Imagination zu einem großen weißen Dinghaufen türmen. Wer arglos an dem Zettel vorbeigeht, ist für Floyers Kunst verloren. Sie erwartet die individuelle Auseinandersetzung und die Lust, die eigene Imaginationskraft ins Spiel zu bringen. Nur so lassen sich die subtilen Brüche und ironischen Kniffe ihrer konzeptuellen Herangehensweise aufschlüsseln.
Vor zwei Jahren hat Ceal Floyer den Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst gewonnen. Damals baute sie eine Treppe aus Lautsprecherboxen, die wie eine minimalistische Designskulptur auf einer Wand der Rieck-Hallen des Hamburger Bahnhofs saß. Benutzen konnte man sie nicht, und doch ertönte aus jeder Box ein verzerrtes Trittgeräusch. Auch für die Jubiläumsinstallation „Kunst im Foyer“ der Humboldt-Universität hat sich Ceal Floyer des Treppenhauses angenommen. Auf jeden der 56 Stufenabsätze montierte sie ein schlichtes, handelsübliches Messingschild. „Vorsicht Stufe“ warnt es nun bei jedem eiligen Schritt. Wer sich davon irritieren lässt, wird gewiss ins Straucheln geraten. Doch Stolpern gehört zum wissenschaftlichen Handwerk. Zum Glück kann man sich von Marx dann wieder auf die Füße helfen lassen. MARCUS WOELLER
Ceal Floyer: „show“ in den Kunst-Werken, bis 18. 10., www.kw-berlin.de „Kunst im Foyer“, Humboldt-Universität zu Berlin, www.hu200.de