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Archiv-Artikel

Un-Empfindlichkeit

UNIMÖRDER Der imaginierte Kriminalroman: Silvia Bovenschens Mordgeschichte „Wer weiß was“

Grüne Männchen gehen gar nicht, findet die Schriftstellerin Carola Schauer, die sich bei ihrem Lektor darüber beklagt, dass sie mit ihrem neuen Roman in die SciFi-Ecke abdriftet. Schwere Wahrnehmungskrisen beuteln diese Frau, die sich selbst beim Beobachten beobachtet und deshalb weiß, dass es keine Außenperspektive geben kann. Oder doch? Was ist mit den Außerirdischen? Und mit der allwissenden Erzählerin? Sehr praktisch, dass während all dieser Beobachtungsschleifen ein Mord passiert, an dem sich die Einbildungskraft der Schriftstellerin vorläufig festsaugen kann.

„Wer weiß was“, der erste Roman der Literaturwissenschaftlerin und Essayistin Silvia Bovenschen, ist eine mit allen Schikanen ausgestattete Selbstreferenzmaschine, in der es so fantastisch lügt, stiehlt, mordet, raucht und kichert, dass man nicht mehr weiß, welchem der elegant blinkenden Falschheitssignale man zuerst hinterherjagen soll. Wer solche hochtourigen Selbstbeobachtungen – wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst – für retro und Seventies hält, sollte den Lektor der Geschichte im Auge behalten: Der steht irgendwann als restaurativer Langweiler da, weil seine „poetische Liberalität“ immer dann schlappmacht, „wenn ein Text an die Neuerungen der Moderne und Postmoderne erinnert“. Gut gegeben, Carola Schauer!

Miss-Marple-Situation

Aber zurück zu den Tatsachen: Auf dem Universitätsklo liegt die Leiche des Linguistikprofessors Ulf Urlach. Bruno Schauer, C4-Kollege, Germanist und Gatte der Schriftstellerin, ist entsetzt. Am Abend zuvor war der jetzt Abgestochene auf einer Party, bei der sich Uni-Mitarbeiter, Kulturbetriebler und eitle Adlige tödlich gelangweilt hatten. Dieser kleine Zirkel wird zum Topverdächtigenkreis: eine perfekte Miss-Marple-Situation, kombiniert mit Campussatire und Sprachkritik. Noch der ermittelnde Kommissar steckt in einer Wahrnehmungskrise, weil er sich immer diese „Tatort“-Sätze sagen hört (Medien, Simulation – man hängt ihm sofort ein Baudrillard-Syndrom an). Dazu kommt ein Privatgelehrter, der sich in ein Luxuspflegeheim zurückgezogen hat, um dort an seinen Projekten zu arbeiten: ein Dossier über menschliche Abgründe und eine Sammlung von Wörtern und Haltungen.

Silvia Bovenschen sucht etwas Ähnliches. Auch „Älter werden“ und „Verschwunden“, ihre zuletzt erschienenen Bücher, waren dem Zusammenhang von Wörtern und Habitus, Stil oder Lebensweisen auf der Spur („Haltung“ klingt zu militärisch, findet jemand im Roman). Sie ist eine Scharfzeichnerin, die aus den erlesenen Vorlieben und Abneigungen – „Über-Empfindlichkeiten“ nannte sie das vor ein paar Jahren – das Typische dieser je nachdem schnöseligen, gutsherrenhaften, bräsigen, hysterischen (seltener: liebenswürdigen) Gestalten herausfiltert. Das birgt enormes Witzpotenzial.

Trotzdem zielt diese Scharfzeichnung nicht auf Karikatur. Diese Form von Hyperrealismus sucht im Überdeutlichen die Bilder, denen solche Milieutypen hinterher hecheln („Milieu“ ist übrigens Carola Schauers Hasswort). Will man wie Marilyn Monroe oder wie Lauren Bacall sein? Beides sind „museale Identifikationen“, erfährt eine Monroe-Bacall-Kreatur von ihrer schlauen Freundin. Offensichtlich stecken aber alle in Identifikationen fest – Bildknäste, die umso ausbruchssicherer sind, je beweglicher sich die Gefangenen geben. Über solche Bildanpassungen hatte Silvia Bovenschen schon in den Siebzigern geschrieben, in ihrem Klassiker „Die imaginierte Weiblichkeit“. Damals war es mehr um die Befreiung von einer feministischen Zwangsvorstellung gegangen: die authentische, gefühlsechte Frau hinter all den Projektionen – die gibt’s natürlich nicht.

Über „Gefühlsbefehle“ wird auch in dieser Mordgeschichte grandios gelästert – aber was will die Schriftstellerin eigentlich mit ihrer „Gefrierdisziplin“? Sie will Liebe und Erbarmen, und darüber kann man unverkitscht eben nur schreiben, wenn man sich knallharte Regeln auferlegt. Oder wenn man sich ein paar grüne Männchen zulegt, welche die Spezies Mensch von außen beobachten. Die gibt’s nämlich doch in diesem Roman! Das außerirdische Forscherteam muss sich sehr über die Schäbigkeit sogenannter Menschen wundern, denen Gnade und Erbarmen völlig abgeht.

Gnade und Erbarmen, das ist gut, wenn auch ein bisschen gefühlsterroristisch. Man fragt sich, warum weder die Außerirdischen noch die Schriftstellerin ihr Vokabular von der Theologie erlösen und etwas allgemeingültiger werden. Dann könnten am Ende vielleicht nicht nur ein paar freundliche Damen in einem idyllischen Garten sitzen, sondern ein, zwei Verdammte dieser Erde mehr. Aber das wäre wohl unverschämt universalistisch. In diesem Roman wird das Schäbige durch Observierung abserviert, das ist vielleicht sogar die bessere Taktik, und es liest sich wunderbar. JUTTA PERSON

Silvia Bovenschen: „Wer weiß was“. Fischer, Frankfurt am Main 2009, 333 Seiten, 19,95 Euro