: In Kiel und Berlin wird der Schulkampf wieder angeheizt
BILDUNGSKOALITIONEN 7 von 16 Bundesländern sind dabei, ihren Schulverhau aufzuräumen. In Kiel und Berlin wird versucht, den historischen Akt zu torpedieren
OLE VON BEUST (CDU)
Kiel machte den Anfang, Berlin zog sofort hinterher. Das Land im hohen Norden war bislang der Vorreiter einer nachhaltigen Schulreform: Sachtes Zusammenführen der zersplitterten Schullandschaft und der Versuch, individuelles Lernen in die Fläche zu tragen.
Doch seit Sonntag ist höchst ungewiss, ob Kiel mit Schwarz-Gelb nicht einfach auf der Hacke kehrt macht. Zwar hat Ministerpräsident Harry Peter Carstensen (CDU) einem einfachen Zurück eine Absage erteilt. Aber was aus den Koalitionsgesprächen heraussickert, lässt dennoch wenig Gutes hoffen.
Die FDP in Schleswig-Holstein ist das Problem. Sie will offenbar die gerade abgelösten Realschulen wieder einführen. Das ist genau das Rein-in-die-Kartoffeln-raus-aus-den-Kartoffeln, das Carstensen angeblich verhindern wollte. Und es bringt eine starke Verunsicherung der Eltern. Die haben gerade eine Strukturreform hinter sich – warum will man die nun teilweise wieder korrigieren?
Zudem soll es künftig mehr Gemeinschaftsschulen geben, das ist die neue Gesamtschule, allerdings pädagogisch gehaltvoller. Ab sofort können sich auch Regionalschulen Gemeinschaftschulen nennen. Das ist nur auf den ersten Blick ein Gewinn – denn die Gemeinschaftsschule ist eine integrierte Schule; die Regionalschule aber setzt nur mehrere Bildungsgänge nebeneinander. Bleibt die Realschule aber gleichzeitig als eigenständige Schulart bestehen, dann wird es wohl bald Hauptschulen geben, die künftig schlicht Gemeinschaftsschulen heißen.
So hat man einst die Marke Gesamtschule ruiniert. Mit der Gemeinschaftsschule wird der gleiche Trick angewandt. Die Konservativen und die Liberalen haben eben jahrzehntelange Erfahrung, wie man Schulreformen zugrunde richtet.
Vielleicht sollten die Holsteiner mal nach Hamburg schauen. Dort hat der Regierende Bürgermeister Ole von Besut (CDU) längst erkannt, dass eine große Schulreform kein ideologisches Projekt ist, sondern ein gesellschaftliches. „Das neue System mit Primar-, Stadtteilschulen und Gymnasien wird die Chancen aller Schülerinnen und Schüler verbessern. Davon bin ich überzeugt. Das Schulsystem, das wir jetzt haben, ist nicht gerecht.“
Das zweite Rollback kommt noch, ehe die Schulreform richtig begonnen hat. In Berlin soll es ab kommendem Schuljahr nur noch Schulformen geben, die zum Abi führen. Aber der Sprecher des Landeselternausschusses, der einst mit einer Bildungspartei gescheitert ist, sieht es als persönliche Mission an, Berlins Eltern zu verunsichern. Von Sonntag auf Montag schlief Schindler wenig und verschickte dafür viele Mails und Pressemitteilungen: „Der Landeselternausschuss schätzt“, schrieb er, dass „jedes fünfte Gymnasium geschlossen werden müsste“.
Für diese Mutmaßung gibt es zwar keinen harten Beleg. Aber Schindler weiß genau, wie die notorisch schlecht informierte Elternschaft in den vierten bis sechsten Klassen reagieren wird: Sie wird versuchen, ihre Kinder möglichst schnell aufs Gymnasium zu bugsieren.
Das hätte einen Run auf die Gymnasien zur Folge – und einen Aderlass in den Grundschulen, die in Berlin sechs Jahre dauern. Nicht wenige Grundschulen versuchen bereits jetzt entgegenzuwirken, indem sie die Eltern seriös über die Schulreform aufklären. Denn dort ist das glatte Gegenteil von dem geplant, was Schindler behauptet: „Wir planen, die Gymnasialplätze auszuweiten“, sagte etwa Pankows stellvertretende Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD).
Die neu aufflackernden Schulkämpfe sind deswegen so absurd, weil das ganze Land in Bewegung ist. Das Tabu der Schulformfrage ist gebrochen – und das zu Recht. In sieben Bundesländern ist eine große Schulreform im Gange. Und auch in den großen Ländern Bayern, Baden-Württemberg und NRW ist der Druck enorm – weil den Regierenden die Hauptschulen unter der Hand wegsterben. Aber alte Ideologien wirft man eben nicht einfach weg. CHRISTIAN FÜLLER