Auf der Langstrecke setzt sie sich durch

BUCHMESSERN (2) Der Deutsche Buchpreis geht überraschend an den Roman „Du stirbst nicht“ der Berliner Autorin Kathrin Schmidt

Beim Pressegespräch gibt es kaum Fragen – außer der, ob sie schon wisse, was sie mit den 25.000 Euro Preisgeld anfangen wolle. „Nö“, sagt Kathrin Schmidt

Den lautesten und anhaltendsten Applaus des Abends im Kaisersaal des Frankfurter Römers erhielt schon vor der Verleihung des Deutschen Buchpreises die frisch gekürte Nobelpreisträgerin Herta Müller. Womit man schon bei der Pikanterie der Veranstaltung wäre. Da sitzt also Herta Müller in den vorderen Reihen, für den Deutschen Buchpreis nominiert mit ihrem Roman „Atemschaukel“ – hatte man als Jury eine andere Wahl, als ihr und nur ihr die Auszeichnung zuzuerkennen? Man hatte, in berechtigter Unterscheidung zwischen Müllers Gesamtwerk und dem aktuellen Roman: Der Deutsche Buchpreis 2009 ging völlig überraschend an die Berliner Schriftstellerin Kathrin Schmidt und ihren bereits im Frühjahr bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Roman „Du stirbst nicht“.

Sieht man einmal davon ab, dass die Jury mit der Festlegung der Shortlist bereits den einen oder anderen Favoriten eliminiert hat (Terézia Mora beispielsweise oder Peter Stamm), so hat sich mit der 1958 in Gotha geborenen und heute in Berlin-Hellersdorf lebenden Kathrin Schmidt eine absolute Überraschungssiegerin durchgesetzt. Dementsprechend groß war auch das Erstaunen der Autorin selbst, die nach einer äußerst zähen und von kleinen Peinlichkeiten nicht freien Zeremonie (Börsenverein-Vorsteher Gottfried Honnefelder rief als Buchpreisträgerin eine gewisse „Karin Schmidt“ aus) ans Mikrofon treten musste und gar nicht viel zu sagen hatte. Außer dass sie früher eine schlechte Kurz-, aber eine gute Langstreckenläuferin gewesen sei und sie den Eindruck habe, auch ihr Roman, der von der autobiografischen Erfahrung eines Hirnschlags und der darauf folgenden Wiederaneignung eines Lebens erzählt, setze sich erst auf der langen Strecke durch. Und dass sie sich zurzeit noch über Herta Müllers Nobelpreis mehr freue als über ihren eigenen. Könnte man als Verlag seine Autoren vielleicht im Vorfeld briefen, in einer solchen Situation unter allen Umständen auf derartig seltsame Bemerkungen zu verzichten?

Kathrin Schmidt also hat nun den Buchpreis, und es scheint, als müssten sich alle erst einmal daran gewöhnen, sie selbst eingeschlossen. Sie beteuert, dass sie „nie mit diesem Preis gerechnet hätte“.

Auf dem anschließenden Pressegespräch hat kaum ein Journalist eine Frage außer der, ob sie denn schon wisse, was sie mit den 25.000 Euro Preisgeld anfangen wolle. „Nö“, sagt Kathrin Schmidt und nach kurzer Pause noch einmal: „Nö“. In den Römerhallen ein Stockwerk tiefer steht man unterdessen schon beim Wein zusammen; Herta Müller ist auch dageblieben; die Fernsehkameras scheinen ihre Bilder im Kasten zu haben. Ganz unbehelligt lehnt die Nobelpreisträgerin an einem Tisch, vertieft ins Gespräch mit ihrem Lektor.

Stephan Thome, der mit seinem Debüt „Grenzgang“ ebenfalls hoch gehandelt wurde als Titelkandidat, macht auch ohne den Preis einen zufriedenen Eindruck. Dabei sein war in diesem Fall wohl schon alles. Die äußere Bedeutungsproduktion, so erklärte Jury-Sprecher Hubert Winkels, habe man bei der Wahl der Preisträgerin außer Acht lassen müssen. Dass dies der Jury 2009 ganz gründlich gelungen ist, dürfte niemand bestreiten wollen. CHRISTOPH SCHRÖDER