die woche in berlin
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Die Nahtoderfahrung bei der Begegnung mit Autos bleibt ein unheimlicher Begleiter aller Radfahrer*innen, in der Bergmannstraße könnte der langjährige Widerstand gegen die Begegnungszone ein Eigentor gewesen sein, und aus der juristischen Schlappe für den umstrittenen ehemaligen TeBe-Vorstand lässt sich manche Lehre ziehen

Die Bedeutung einer klugen Opposition

Ex-TeBe-Chef Redlich ist raus und bleibt auch draußen

Jens Redlich hat verloren, das konnte man am Mittwoch auf allen News-Kanälen lesen. Der Mucki­buden-Besitzer und eher unredliche ehemalige Vorstandschef von Tennis Borussia wollte sich vor Gericht zurück ins Amt klagen, nachdem kritische Fans ihn im Juli entmachtet hatten. Aber die Aktion war rechtmäßig, urteilte nun das Amtsgericht Charlottenburg: Redlich hatte im November 2018 schriftlich seinen Rücktritt erklärt. Zwar hatte er zwei Tage später einen Rückzieher gemacht, aber den Rücktritt vom Rücktritt, so die Richterin, den gebe es nicht.

Der Investor mit diktatorischen Zügen, der gegenüber der taz vor allem mit wirren Aussagen über Linksextremismus und juristischen Drohungen auffiel, ist also vorläufig raus. Er war gewiss der idea­le Antagonist in der öffentlichen Erzählung. Beinahe schon die Comicfigur eines sich selbst überschätzenden Millionärs, ein Charakter wie aus „Bibi und Tina“. Halb Deutschland nahm Anteil am Ringen um TeBe. Dabei kann der Sieg der kritischen Fans das ein oder andere lehren.

Er zeigt, erstens, die Bedeutung kluger Opposition. Züge dessen, was sich jüngst um Salvini und Johnson abspielte, finden sich im Kleinen in der Causa Redlich: dass demokratische Organe durchaus Paroli bieten können, wenn ihre Mitglieder an einem Strang ziehen und eine effektive Strategie verfolgen. Die TeBe-Fans haben mit dem „Caravan of Love“ ständige Öffentlichkeit geschaffen, sie haben durch ihre Medienarbeit eine eigene, wirksame Erzählung kreiert und währenddessen vereinsintern beharrlich an einer legalen Entmachtung Redlichs gearbeitet.

Besser kann man es kaum machen. Gleichzeitig hat dieser Erfolg für andere Fanlager nur bedingte Vorbildfunktion. Denn einen Investor, der sich so offensichtlich ungeschickt anstellt, gibt es nicht oft. Mit seiner Rücktritts-Mail hat Jens Redlich die Steilvorlage für die eigene Absetzung geliefert. Die Opposition hat auch von einer Ausnahmesi­tua­tion profitiert.

Darüber hinaus wird gern vergessen, dass viele seiner späteren Kritiker den Herrn Redlich anfangs durchaus haben wollten. Der Streit entzündete sich nicht am millionenschweren Investment, sondern an der rüden Art und Weise, mit der Redlich gegen den linken Teil der Fanszene und ihr Engagement vorging. Es ging nicht um Turbokapitalismus, sondern um Autoritarismus, der ihm auf dem Fuße folgt. Ein wichtiger Sieg, aber nicht zu verwechseln. Alina Schwermer

Jetzt hilft nur noch Repression

Kurz nach dem Horrorunfall wird schon wieder gerast

Es ist Montag, der Start in die erste Woche nach dem schrecklichen Unfall in der Invalidenstraße. Drei Tage sind nach dem Tod von vier Menschen vergangen, drei Tage, in denen diese schreckliche Nachricht berlinweit des größte Thema war. Müsste das nichts ändern? Müsste das nicht manchen dazu bewegen, den Wagen mal stehen zu lassen, langsamer zu fahren, den Finger von der Hupe weg- und den Radfahrern mehr Platz am Straßenrand zu lassen?

Nichts davon ist an diesem ersten Montag nach der Tragödie zu erleben. Die üblichen Staumeldungen im Radio, die vielen Autos, die mit nur einem Insassen am S-Bahnhof vorbeischleichen, den Zebrastreifen an der Ecke ignorieren, mit über Tempo 50 durch die 30er Zone der engen Nebenstraße rasen. Und das fast schon übliche Nahtoderlebnis als Radfahrer mit einem Abbieger, der auch noch wütend hinter seiner Windschutzscheibe gestikuliert. Es ist so frus­trierend, dass einem der wütende Ausruf „Wie viele sollen denn noch sterben?“ erst später einfällt.

Es ist dieser Montag, der einem auch noch die letzte Hoffnung auf Lernfähigkeit zu rauben scheint. Schlimm war es schon, einige Tage zuvor eine Meldung über die jüngste Aral-Umfrage zu Auto-Kaufabsichten zu lesen: 22 Prozent derer, die in den nächsten eineinhalb Jahren ein Auto kaufen wollen, streben einen SUV an – vor vier Jahren waren es nur 5 Prozent. Vier Jahre, in denen es bereits ungezählte Debatten übers Klima und den Sinn und die Gefahren dieser klimakillenden Großfahrzeuge gab.

Es gibt offenbar keine breite Einsicht, dass es so nicht weitergeht – so rasend, egoistisch, andere Verkehrsteilnehmer allein qua Masse einschüchternd bis gefährdend. Und das führt zu einem traurigen Fazit: Es muss her, was eigentlich keiner will, der an den mitdenkenden, verantwortungsvollen Menschen glaubt. Weil der aber zu selten im Auto anzutreffen ist, hilft nur: mehr Kontrollen, Repression und drakonische Strafen statt läppischer einmonatiger Fahrverbote, Verbot von Viel-Schluck- und Viel-Ausstoß-Neuwagen.

Es braucht eine Verkehrsvariante von „Three strikes and you’re out“: Wer dreimal beim Rasen erwischt wird, beim Radweg-Zuparken oder beim sonstigen Gefährden, der kann sich zehn Jahre später mal wieder um einen Führerschein bewerben. Zu harsch, zu drakonisch? Überhaupt nicht. Es gibt ein Recht auf Mobilität – aber nicht aufs Rasen und Gefährden. Stefan Alberti

Es gibt ein Recht auf Mobilität, nicht auf Rasen und Gefährden

Stefan Albertiüber die automobilen Gepflogenheiten, die kurz nach dem Horror-Unfall mit vier Toten dieselben sind wie eh und je

Es könnte noch radikaler werden

Bei der Begegnungszone Berg­mannstraße schließt sich ein Kreis

Erst leisten Anwohner*innen und Gewerbetreibende jahrelang Widerstand gegen die „Begegnungszone Bergmannstraße“, dann lenkt das Bezirksamt scheinbar ein – und am Ende werden selbst die utopischsten Forderungen vom Anfang des Prozesses übertroffen.

Drei Jahre Bürgerbeteiligung, drei Jahre Aufregung und Ärger, am Ende erschienen schon die temporär installierten Parklets vielen zu radikal, zu hässlich, zu anders – obwohl die schon eine abgeschwächte Form dessen waren, was das Bezirksamt ursprünglich vorsah. Insbesondere Ladenbesitzer*innen befürchteten, sie könnten ohne Autoverkehr Kundschaft verlieren. Jetzt präsentiert das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg vier Varianten, wie die Bergmannstraße in Zukunft aussehen könnte – und plötzlich steht die Option im Raum, dass die Autos noch weiter zurückgedrängt werden.

Drei der Vorschläge sehen vor, dass die Bergmannstraße fast komplett autofrei wird. Und alle wollen mehr Aufenthaltsräume und Begrünung. Das überrascht angesichts des lauten Widerstands der letzten Jahre. Was ist mit den Kritikern des Projekts passiert?

Sie haben sich offenbar in die Kommentarspalten des Beteiligungsforums mein.berlin.de verlegt. Dort befürchten die Kommentierenden, die Begegnungszone könnte zur Touristen- und Partymeile mutieren. Und ärgern sich, das sei alles zu teuer und umständlich – eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 Stundenkilometer und ein paar Radarfallen täten es doch auch.

Kommentare im Netz geben aber oft kein repräsentatives Meinungsbild wieder. Und immerhin sind die vier Vorschläge das Ergebnis einer Werkstatt, zu der ein Querschnitt der Stra­ßen­be­woh­ne­r*innen eingeladen wurde.

Vielleicht ist das der natürliche Verlauf von Fortschritt? Auf anfängliche Ablehnung gegen alles Neue folgt Akzeptanz – und schließlich Gewohnheit. Irgendwann sind autofreie Straßen so normal, dass niemand mehr darüber nachdenkt. Das wäre ja immerhin eine erfreuliche Erkenntnis: Man muss nur lange genug warten, dann werden die Dinge besser.

Aber selbst wenn sich eine Mehrheit der Anwohner*innen zum konsequenten, radikalen Umbau durchringt: Die Bergmannstraße ist keine direkte Demokratie und bei solch großen Investitionen gilt: Das letzte Wort hat der Senat. Als nächstes präsentiert das Bezirksamt dem BVV einen Vorschlag zur Umsetzung. Dazu muss es aus dem Wunschkonzert und den unterschiedlichen Ansprüchen eine konkrete Empfehlung herausarbeiten.

Es könnte durchaus sein, dass der Senat die Finanzierung am Ende nicht bereitstellt – und der ganze Prozess von vorne losgeht. Anina Ritscher