: Monsun in Rangun
BIRMA Die Isolation unter der Militärdiktatur wirkte wie ein Konservierungsprogramm für das architektonische Erbe des Landes. Nun kommen die Touristen – und die Spekulanten
■ Umbenennung: Im deutschen Sprachraum war bis Ende der achtziger Jahre die Bezeichnung Birma üblich; der Name der ehemaligen britischen Kolonie war Burma. 1989 änderte die Militärjunta nach einem Putsch den Namen des Landes in Republik der Union Myanmar um. Ziel war es, sich unter anderem von der kolonialen Vergangenheit abzugrenzen. Während die Vereinten Nationen und Länder wie Frankreich und Deutschland den neuen Namen übernahmen, behielten die USA, Menschenrechtsorganisationen und viele Medien den alten Namen als Ausdruck ihrer Missbilligung des Militärregimes bei.
■ Umwandlung: Im Jahr 2011 übergab die Militärjunta die Macht an eine formal zivile Regierung unter dem ehemaligen General Thein Sein, sicherte sich aber weitgehende politische Mitspracherechte. Die neue Führung leitete eine politische Öffnung des Landes ein. Menschenrechtler kritisieren jedoch, dass der Reformkurs nicht weit genug gehe. So sitzen weiterhin Hunderte politische Gefangene hinter Gittern. Oppositionelle halten daher zu einem großen Teil an dem Namen Birma beziehungsweise am englischen Burma fest.
VON MARTIN H. PETRICH
Die beiden Mädchen haben es geschafft. Mit einem Sprung über die Wasserpfütze retten sie sich unter einen verblichenen Sonnenschirm, der alle Mühe hat, die herabstürzenden Wassermassen des Monsunregens abzuhalten. Nun kauern sie auf grünen Plastikstühlen und verspeisen eine dampfende Reissuppe. Am Stand nebenan tunkt ein älteres Ehepaar Schweinespieße in Chilisoße. Ihre angeregte Unterhaltung mit dem Garküchenbesitzer wird vom tosenden Regen übertönt. In der nahe gelegenen Maha Bandoola Street kommt derweil der dichte Verkehr zum Erliegen. Auch das öffentliche Stromnetz ist wieder einmal zusammengebrochen.
Vollgestopfte Straßen und Stromausfälle gehören zum Alltag Yangons, oder Ranguns, wie die ehemalige Hauptstadt Birmas auch genannt wird. Auf den Gehsteigen konkurrieren Obst- und Kleiderverkäufer mit Betelnusshändlern und Garküchen. Das Yangon City Development Committee schätzt die Zahl der Straßenhändler allein im Stadtzentrum auf über 40.000 und versucht regelmäßig sie zu vertreiben. „Gestank und Müll zerstören das Image der Stadt“, klagt ein Sprecher des Stadtkomitees. „Es ist eine Schande, wenn Ausländer das sehen.“
Für Touristen ist die chaotische Downtown nahe der berühmten Shwedagonpagode jedoch ein Highlight ihres Rangun-Besuchs. Sie begeistern sich für das multikulturelle Leben ebenso wie für die morbiden Kolonialfassaden. Auch die rostbraunen Betelnussflecken auf dem Boden und streng duftende Durianfrüchte an den Ständen gehören für sie zum Lokalkolorit.
Für die stolze Heimatstadt der Shwedagonpagode war der Zweite Anglo-Birmanische Krieg von 1852 bis 1853 zunächst eine Katastrophe. Aufgerieben in den Kämpfen zwischen Truppen des Empires und des Königs aus Mandalay gingen ganze Stadtteile mit ihren Teakholzhäusern in Flammen auf. Als die neuen britischen Machthaber Rangun 1852 zu ihrer kolonialen Hauptstadt erkoren, gaben sie einen Masterplan für die zerstörte Stadt in Auftrag.
In Birma kommt die Revolution von oben
Nach Vorbild von Singapurs „Jackson Plan“ ließen sie entlang des Flusses Rangun ein schachbrettartiges Straßennetz mit breiten Boulevards und schmalen Gassen anlegen. Schon bald waren die hafennahen Viertel von einem bunten Bevölkerungsgemisch bewohnt, während die Briten in schicken Villen im Golden Valley zwischen Shwedagonpagode und Inya Lake residierten.
Auf den Straßen westlich der Sulepagode trafen sich tamilische Hindus mit goanesischen Christen und bengalischen Muslimen, während nicht weit entfernt die Einwanderer aus Chinas Küstenprovinzen Guangdong und Fujian ihren Geschäften nachgingen. Selbst Juden aus Bagdad und Kerala fanden eine neue Heimat und erbauten an der 26th Street die schmucke Musmeah-Yeshua-Synagoge.
Heute, über sechs Jahrzehnte nach dem Ende der Kolonialzeit, zeigt sich das Stadtzentrum noch immer kosmopolitisch, auch wenn der Scott Market heute nach dem Freiheitshelden Bogyoke Aung San benannt ist und dort fast alle auf Birmanisch parlieren.
Die politischen Veränderungen in Birma wirken wie ein kräftiger Monsunregen. Während in den arabischen Staaten die Diktatoren von ihrem Wutvolk vertrieben werden, erlebt das südostasiatische Land eine Revolution von oben. Was fast ein halbes Jahrhundert lang gültig war, wird von den Reformen einfach weggespült – die rigide Zensurpolitik etwa, welche Mitte August weitgehend aufgehoben wurde. Früher endeten politische Aktionen regelmäßig im Gefängnis, heute gehen Demonstranten gegen die schlechte Stromversorgung so selbstverständlich auf die Straße wie gegen niedrige Löhne.
Schon erkennt die Asiatische Entwicklungsbank in ihrem jüngsten Bericht das Land als Asiens neuen aufsteigenden Stern. Der Tourismus gilt als wichtiger Motor für das Wirtschaftswachstum. „Myanmars unberührter Dschungel, die schneebedeckten Berge und makellosen Strände stellen mit der reichen und ruhmvollen Vergangenheit von über 2.000 Jahren ein enormes Potenzial für den Tourismus dar“, heißt in dem Bericht.
Dass der Fremdenverkehr schon jetzt gutes Geld in die Kassen spült, hat vor allem die Handvoll Fünfsternehotels in Rangun erkannt. Kräftig haben ihre Besitzer an der Preisschraube gedreht. Überbuchte Unterkünfte, horrende Zimmerpreise, volle Flieger – bereits heute sind die Kapazitätsgrenzen erreicht. Zwar hat das Tourismusministerium für die Fünfsternehotels mittlerweile ein Limit von 150 US-Dollar pro Nacht gesetzt, trotzdem ist das Land keine Destination für Schnäppchenjäger mehr. „Das Letzte, was wir wollen, ist der Ruf Myanmars als teures Reiseziel“, warnt Frank Janmaat von der lokalen KMA Hotel Group in der Wochenzeitung Myanmar Times.
Doch Gefahr lauert auch anderswo. Rangun droht in den Strudel von Spekulanten zu geraten. Die Boden- und Mietpreise in der chronisch überbevölkerten Siebenmillionenmetropole steigen rasant an. Vom Bau moderner Apartmentblöcke und Einkaufszentren versprechen sich die Investoren hohe Renditen. Für die historisch gewachsene Innenstadt bedeutet das nicht viel Gutes. Wer entlang der schmalen Gassen und schattigen Boulevards spaziert, wähnt sich in die Kolonialzeit zurückversetzt. Geschwungene Fensterrahmen wechseln sich mit verspielten Stuckverzierungen ab, in den Eingängen knarren die Holztreppen. Die lange Isolation während der Militärdiktatur wirkte wie ein unfreiwilliges Konservierungsprogramm, auch wenn dunkelgrünes Moos und schwarzer Schimmel den betagten Bauten arg zugesetzt haben. Mit 189 denkmalgeschützten öffentlichen Gebäuden besitzt die ehemalige Hauptstadt des Landes so viel Kolonialflair wie kaum eine andere Metropole Asiens.
Zu viele Familien auf zu engem Raum
„Wir müssen dringend das bewahren, was wir besitzen. Wenn wir nichts tun, werden wir unser Erbe bald verlieren“, warnte der Historiker Thant Myint-U Anfang Juni. Zusammen mit Stadtplanern, Geschäftsleuten und Architekten gründete der 46-jährige Enkel des UN-Generalsekretärs U Thant vor einigen Monaten den Yangon Heritage Trust, um das rasante Verschwinden historischer Gebäude aufzuhalten. Die Bemühungen zeigen erste Erfolge: Ein Moratorium verbietet den Abriss von Bauten, die älter sind als fünfzig Jahre. Doch viele koloniale Prachtbauten stehen nach dem Umzug der Regierung in die neue Hauptstadt Naypyidaw leer.
In Gefahr sind aber nicht die repräsentativen Gebäude wie das noble Strand Hotel oder das wuchtige Sekretariatsgebäude, sondern die vielen heruntergekommenen Gründerzeitbauten, in denen sich zu viele Familien auf zu engem Raum drängen. Mit undichten Wasserrohren, veralteten Stromleitungen und morschen Holzböden herrschen teilweise unerträgliche Zustände. Nur Geldmangel hält die Menschen hinter den maroden Mauern. Totalabriss und Neubau wären weitaus günstiger als eine grundlegende Restaurierung.
„Wir brauchen eine Erhaltungsstrategie, die Arbeitsplätze schafft und die Menschen in den Wohnvierteln nicht vertreibt. Sie soll die Vielfalt zelebrieren und dem Tourismus dienlich sein“, meint Thant Myint-U mit vorsichtigem Optimismus. Bleibt abzuwarten, was der Monsunregen in Zukunft noch alles bringt.
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