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Archiv-Artikel

Peter Unfried Macht Die eine Frage

War alles umsonst, Hannes Wader? Am Kaffeetisch mit einem heiter-milden Sozialisten

Ab 1968 sollte alles besser werden mit Deutschland, aber der Sozialismus brach dann ja zusammen, und die Nazis sind immer noch unter uns. „War alles umsonst, Herr Wader?“ Hm, sagt Hannes Wader. „Das ist mal ’ne Frage.“ Wir trinken Kaffee. Ein paar Schritte entfernt war früher der Berliner Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße. „War alles umsonst?“, wiederholt Wader. Dann versucht er, aus einem Lied seines letzten November gestorbenen Weggefährten Franz Josef Degenhardt zu zitieren.

Wader ist Jahrgang 1942, Arbeiterkind, und zählt zu den prägenden politischen Liedermachern im Nachkriegsdeutschland. Seine grandios-poetischen „7 Lieder“ von 1972 gehören in die deutsche All-Time-Top-10. Damit wurde er ein Star der linken Aufbruchbewegung. Wurde vom Staat als angeblicher RAF-Unterstützer verfolgt. Soff sich fast zu Tode bzw. überlebte die 70er nur mit Schnaps. Trat in die DKP ein. Und nach 1989 wieder aus. Da war alles weg. Der Kommunismus. Seine Weltanschauung. Sein Geld. Jetzt sitzt er auf einem Sofa im Halbschatten, ist ganz in Schwarz gekleidet und sieht ein bisschen aus wie der mittlere Fidel Castro.

War der Eintritt in die DKP der größte Irrtum Ihres Lebens? „Nein“, sagt Wader und erzählt, wie er dort in der Gemeinschaft Halt gesucht habe. Einerseits war er berühmt geworden und andererseits zum Staatsfeind, nachdem er in einer Kneipe eine Frau namens Hella kennenlernte und ihr den Schlüssel für seine neue Hamburger Wohnung überließ. Die Frau war Gudrun Ensslin, Anführerin der RAF, und machte ein Waffenlager daraus. Ein Polizist wurde vor der Tür erschossen. Wader sagt bis heute, dass er nicht wusste, dass es Ensslin war. Er verfuhr nach seinem damaligen Codex, entgegen der kapitalistisch vergifteten Kontrollwut allen Menschen unbefangen zu begegnen. Heute sagt er: „Bei genauerem Hinschauen hätte ich es merken müssen.“ Wollte er aber nicht. Das sei es, was heute noch in ihm nage.

In seinem neuen Album „Nah dran“ vergräbt er sich stark in alten Liedern, wie das jetzt einige ältere Musiker machen, sogar Neil Young. Das Thema Alter spielt eine zentrale Rolle. Der Blick nach vorn wird kürzer. Trotzdem wird das Album getragen von einer heiteren Entspanntheit. Entspanntheit trotz gesellschaftlich-politischen Scheiterns. Sie machen nicht den Eindruck, als ob Sie 24 Stunden am Tag an Deutschland und am Scheitern des Sozialismus leiden? „Nein, das tue ich auch nicht.“ Er ist immer noch Sozialist. Er wählt jetzt Linkspartei. Grundsätzlich versuche er zu verstehen: „Das Leben findet jetzt statt; in diesem Moment. Das Vergangene ist nicht mehr das Leben. Und das Kommende schon mal gar nicht.“ Textstärke war nie seine Sache, aber jetzt hat er die Worte aus dem Degenhardt-Lied zusammen und deklamiert: „Jeder Traum, an den ich mich verschwendet, jeder Kampf, wo ich mich nicht geschont. Jeder Sonnenstrahl, der mich geblendet, alles hat am Ende sich gelohnt.“ Die Worte sind von Louis Fürnberg, einem – zeitweisen – Stalin-Fan, der auch den SED-Hit „Die Partei, die Partei, hat immer recht“ schrieb.

Das, sagt Wader, „heißt für mich: Selbst wenn man die Welt nicht verbessern kann, so hat man sich doch darum zu bemühen.“ Das Lied treffe seine Stimmung. Nicht nur politisch, sondern auch persönlich. Also war nicht alles umsonst? Nein, sagt Hannes Wader. „Es war wohl nicht alles umsonst.“

Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber