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Archiv-Artikel

Merk-Ekel in der Essener City

CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel redet beim mies besuchten Wahlkampfauftakt auf dem Essener Kennedyplatz gegen freche Kleinkinder, vorlaute Parteifreunde und skeptische Shopper an

AUS ESSENMARTIN TEIGELER

Essen. Kennedyplatz. Wahlkampfauftakt der CDU Deutschlands. Der große Platz in der Innenstadt ist nur knapp zur Hälfte gefüllt. Von 5.000 Kundgebungsteilnehmern sprechen die Veranstalter. In Wahrheit sind es nicht einmal 3.000 – die meisten von ihnen neugierige Passanten. Shopper mit Einkaufstüten essen Eiscreme. Eine 80er-Jahre-Showband covert den alten Pointer-Sisters-Hit „I‘m so excited“. Die CDU hat eine Hüpfburg für Kleinkinder aufgebaut. An Fahnenmasten flattern orangefarbene CDU-Flaggen im Sommerwind.

Auf einmal ist sie da: Angela Merkel, die Kandidatin, steht mitten auf dem Platz. „Woher ist die denn gekommen?“, fragt ein Frau aufgeregt. Eine Menschentraube bildet sich um Merkel. Die Umstehenden applaudieren nicht, sondern gaffen sie an. Sie lächelt, geht zur Bühne.

Die Kandidatin sieht müde aus. Sie kommt an diesem frühen Mittwoch Abend gerade aus Berlin, wo ihr die CSU vorgeschrieben hat, 45 Prozent bei der Bundestagswahl im September zu holen. Ein paar Aktivisten von der Jungen Union rufen „Ängie, Ängie“, als die CDU-Vorsitzende das Podium betritt. Direkt vor der Bühne sitzen und stehen die Hardcore-Fans der Konservativen und trinken Stauder Pils. Als Merkel vom Versammlungsleiter begrüßt wird, ist der Applaus dünn. Merkel beginnt ihre Rede. „Mit Essen verbinde ich gute Erinnerungen“, sagt sie und lächelt. Im Jahr 2000 wurde Merkel in der Ruhrgebietsstadt zur CDU-Vorsitzenden gewählt. Damals, als die Partei mitten in der CDU-Spendenaffäre steckte.

Merkel referiert das CDU-Wahlprogramm. Sie spricht ein bisschen wie eine Dozentin an der Universität, wie die langweilige Lehrerin, die man früher in der Schule nicht ausstehen konnte. Merkel doziert, als spreche sie zu etwas begriffsstutzigen Schülern. Sie benutzt mehrmals Formulierungen wie: „Schauen Sie sich das mal an!“ Oder: „Jetzt müssen wir uns doch fragen!“ Mit ihrem berlinerischen Dialekt hat sie immer dieselbe, öde Sprechmelodie. Angela Merkel ist eine schlechte Rednerin. Der Ton ist belehrend bis vorwurfsvoll. Vorwurfsvoll gegen SPD-Kanzler Gerhard Schröder und Rot-Grün. „Es muss Schluss sein mit Rot-Grün“, sagt Merkel. Wegen der Arbeitslosigkeit. „Wir brauchen einen völligen politischen Wechsel in Deutschland“, sagt sie. Die CDU-Fans jubeln. Andere buhen und pfeifen.

Schon nach wenigen Minuten schwindet die Aufmerksamkeit bei den Zuhörern. Merk-Ekel macht sich breit. Die Kandidatin kommt nicht gut rüber, viele der Anwesenden mögen die CDU-Frau offensichtlich nicht. Anders als ihr Gegenkandidat ist Merkel kein „Crowd-Pleaser“, keine, die eine Menge auf ihre Seite ziehen kann. Schnell wenden sich Passanten kopfschüttelnd ab und verlassen den Platz. Eine Kleinfamilie trollt sich, die Kinder haben keine Lust mehr auf Merkel. „Scheiß CDU“, brüllt ein kleiner Junge und rennt zu seinem Vater, der dem Filius über den Kopf streichelt. Zwei junge Männer mit Migrationshintergrund und David-Beckham-Frisuren gehen quer über den Platz und stoßen Beleidigungen gegen Merkel aus. Selbst auf der Bühne ist der Kandidatin nicht ungeteilte Aufmerksamkeit gewiss: Während Merkels Rede quatschen einige der regionalen CDU-Größen. Mit einem bösen Blick ermahnt die Kandidatin die vorlauten Parteikollegen.

Nach 40 Minuten über Mehrwertsteuererhöhung, Steuerreform und Studiengebühren ist Merkel am Ende. Der Beifall ist immer noch dünn. Zum Abschluss singen die CDUler die Nationalhymne, während die Menge auseinander strebt. DKP-Aktivisten verteilen Flugblätter. Als Merkel schon wieder weg ist, scheppern die Rolling Stones aus den Lautsprecherboxen: „Angie“.