: Vor dem Kotau vor Brüssel
Lang und ausdauernd weigerte sich die schwarz-gelbe niedersächsische Landesregierung, die Weser- und Emsmündung als Naturschutzgebiete an die EU zu melden. Jetzt deutet sich ein Umdenken an
von Kai Schöneberg
Wenn der grüne Umweltminister Jürgen Trittin dem schwarzen Ministerpräsident Christian Wulff einen Brief schreibt, handelt es sich dabei nicht um Nettigkeiten – insbesondere nicht in Wahlkampfzeiten. Auch wenn sich Trittin bei dem Brief vom 8. August an den „lieben Herr Wulf“ kräftig verschrieben hat, könnte er letztlich zum Kniefall des renitenten Niedersachsen beitragen.
Es geht um das seit Jahren tobende Gezerre um die Nachmeldung der Flussmündungen von Weser und Ems an die EU-Kommission als Gebiete mit einem besonderen Schutzstatus laut Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Niedersachsen sei bei der Meldung der FFH-Gebiete an die Kommission „offensichtlich weiterhin defizitär“, schreibt Trittin in dem Brief, der der taz vorliegt. Anfang Februar war die letzte von der Kommission gesetzte Frist abgelaufen. Die meisten Bundesländer hatten noch mal kräftig nachgemeldet, nur Niedersachsen sträubte sich. Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) hatte zwar eine Liste mit 253 FFH-Gebieten vorgelegt, allerdings immer wieder behauptet, die Meldung der Elbe-Mündung reiche als „repräsentatives Schutzgebiet“ aus. Wulff betonte stets, man müsse ja nicht alle Vorgaben der Kommission „eins zu eins umsetzen“.
Trittin schreibt hingegen, es sei „höchst gefährlich“, mit der Nachmeldung zu warten. Einerseits sei künftig mit einer „verschärften EU-Sanktionspolitik“ zu rechnen. Brüssel wird im Dezember über eine Klageandrohung, die „Vorstufe zur Klage“, entscheiden. Inzwischen hat sich die Rechtssprechung dazu konkretisiert: Standen bislang im Fall einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) Strafen in Höhe von 790.000 Euro täglich im Raum, ist man seit dem 12. Juli klüger. Damals verurteilte der EuGH Frankreich erstmals zu einer Pauschalsumme von 20 Millionen Euro plus weiterer „Zwangsgelder“ im Halbjahresrhytmus in Höhe von 58 Millionen Euro – es ging dabei um die Größe von Fischernetzen.
Frankreich spielt auch beim zweiten Grund für die mögliche Kehrtwende Niedersachsens eine Rolle. Bislang hatten Wulff & Co. auf das Meldeverhalten bei den Mündungen von Seine, Gironde und Loire gewartet. Die knallharte Position der EU hat die Franzosen inzwischen zur FFH-Meldung bewogen. „Ich gehe davon aus, dass diese Entwicklung die Kommission in ihrer Haltung zu den deutschen Ästuaren bestärken wird“, meint Trittin. Er erlaube sich „nochmals zu unterstreichen, dass nach Auffassung der Bundesregierung in solchen Fällen Zwangsgeld und Pauschalbetrag in vollem Umfang von den zuständigen Bundesländern zu tragen sind“.
„Die Brüsseler haben die Niedersachsen ganz schön auf dem Kiecker“, sagen Insider zum Dauer-Krach. Fachlich sei die Nichtmeldung von Weser- und Emsmündung nicht haltbar, betonte gestern der Naturschutzbund Nabu. „Die blamable Bilanz Niedersachsens bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie ist nicht länger hinzunehmen“, sagt Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Im Fall einer Verurteilung durch den EuGH „müssten alle Steuerzahler für das Fehlverhalten Einzelner zahlen.“
„Wir setzen in der FFH-Problematik auf die Zeit nach Trittin, wenn die Bundesregierung wieder die Interessen Niedersachsens in Brüssel vertritt anstatt sie zu bekämpfen“, sagt Wulffs Sprecher. Das Umweltministerium deutet dagegen den Kotau an. „Neue Erkenntnisse“ beziehe man „natürlich in die Überlegungen mit ein“, sagt Sanders Sprecher. Sander hat für eine neue Stellungnahme in dem seit 1995 laufenden Verfahren erneut um eine Woche Zeit gebeten.