In Kfar Darom denkt niemand ans Packen

Die Siedlung im Gaza-Streifen soll kommenden Mittwoch von den israelischen Sicherheitskräften geräumt werden. Eine Zeltstadt bietet Abzugsgegnern Unterkunft. Rund 1.000 Aktivisten sind bereits in den Ort in der Sperrzone eingesickert

AUS KFAR DAROM SUSANNE KNAUL

Ans Packen denkt in Kfar Darom niemand. Ein junger Vater mit Kipa und Jeans versucht zusammen mit seinen beiden Jungen eine Libelle zu fangen, die über dem Fischteich vor dem Gemeindezentrum ihre Runden dreht. Zwei Frauen mit Kinderwagen halten in aller Ruhe einen Plausch. „Business as usual“, so scheint es. Daran ändert auch die Regierung nichts, die am Sonntag entschied, das Dorf kommende Woche räumen zu lassen.

Ab 0.00 Uhr in der Nacht zum Montag wird jüdischen Zivilisten der Aufenthalt im Gaza-Streifen untersagt sein. Zwei Tage gewährt ihnen die Armee dann trotzdem noch, um die Koffer zu packen, bis es Mittwochfrüh ernst werden soll. Kfar Darom, Nezarim und Morag – drei isoliert liegende Siedlungen im Gaza-Streifen – stehen als Erste auf der Liste der Räumungskommandos.

Nur eineinhalb Kilometer von Israel entfernt liegt Kfar Darom, die einzige Siedlung im Gaza-Streifen, die nicht auf besetztem, sondern auf legal erstandenem Land errichtet wurde. In den frühen 40er-Jahren errichteten jüdische Bauern den Kibbutz Kfar Darom, bis sie 1948 vor der ägyptischen Armee fliehen mussten. „Zum zweiten Mal wird Kfar Darom nicht fallen“, verspricht ein Schild in riesigen Lettern schon am militärischen Kontrollpunkt.

Während in mehreren im Norden des Gaza-Streifens gelegenen Siedlungen die Leute schon ihre Häuser verlassen haben und Umfragen von 60 Prozent der Siedler sprechen, die sich mit Regierungsplan abgefunden haben, wird in Kfar Darom der Widerstand vorbereitet. Rund 1.000 Aktivisten aus dem national-religiösen Lager ist es gelungen, hier in die militärische Sperrzone einzudringen. Nach Auskunft des Siedlerdachverbands Jescha haben sich insgesamt 15.000 Abzugsgegner in den Gaza-Streifen eingeschlichen.

Unter den zum Trocknen aufgehängten Wäschestücken neben der Zeltstadt in Kfar Darom herrscht Orange, die Farbe des Abzugsprotestes, vor. In einem Gemeinschaftszelt stehen Plastikstühle aufgereiht, daneben vereinzelt kleine Zelte, die offenbar von ihren Bewohnern selbst mitgebracht wurden, und mindestens 40 weitere größere Zelte, die Raum für je vier bis fünf Menschen bieten.

Die meisten „Gäste“, wie sie hier genannt werden, nutzen die Zeit bis zur Stunde null, um in den Gewächshäusern oder in der Verpackungsfabrik Chaslat zu helfen, wo frisch die geernteten und „garantiert ungezieferfreien“ Salate, Kräuter und Sellerie verbraucherfreundlich aufbereitet werden. „Wir haben hier noch keine einzige Schraube gelöst“, sagt ein Angestellter und öffnet die Tür zum Speisesaal, wo ungefähr 70 Jugendliche gerade ihre Mittagspause verbringen. „Bis zur letzten Minute“ soll bei Chaslat gearbeitet werden. Abbauen sei dann immer noch möglich, sagt er mit Blick auf die Fließbänder und Maschinen.

Über die Perspektive, dass man sich trotz allen Widerstands letztendlich doch mit einem anderen Zuhause zufrieden geben muss, redet keiner gern. „Packen?“, ruft ein aufgeweckter Zehnjähriger. „Wir packen die Araber.“ Vier Gleichaltrige stellen sich lachend hinter ihren Freund. Wenn die Soldaten kommen, um die Siedlung zu räumen, will der Knirps, der sich als Amishar vorstellt, „Backgammon spielen“. Er hegt keinen Zweifel daran, auch nächste Woche noch in Kfar Darom leben zu können. Nicht nur das: „Nächstes Jahr sind wir in Gaza [Stadt] und übernächstes in Ramallah.“

Kfar Darom gehört zu den schwereren Missionen von Armee und Polizei. Die rund 70 Familien sind stark ideologisch motiviert. Seit 1992 wurden fünf Menschen bei Terrorübergriffen getötet, drei Kinder verloren während einer Busfahrt zur Schule ein Beine oder beide, was für die Eltern noch immer nicht Grund genug war, wegzuziehen. Das Dorf ist mit Betonmauern, Stacheldraht und zahlreichen Panzern verbarrikadiert wie ein Armeelager in Feindesland.

„Wir sind in zwei Punkten hartnäckig“, erklärt Asher Mivtsari, der vor kurzem zum „Sprecher“ von Kfar Darom avancierte. „Wir werden weitermachen und hier nicht weggehen, und wir werden keine Gewalt anwenden.“ Der bärtige Mittfünfziger trägt eine orangefarbene Sportmütze und gibt sich zuversichtlich, beide Ziele zu erreichen. Und das, obschon in Kfar Darom die privaten Waffen noch immer nicht konfisziert wurden, was in allen anderen Siedlungen längst passiert ist. „Unsere Waffen haben nur ein Ziel: die Selbstverteidigung gegen Terror“, verspricht Mivtsari. Einzig mit „der Macht des Glaubens“ sollen die Sicherheitskräfte aufgehalten werden.