piwik no script img

Archiv-Artikel

Aus der Elbflut leider nichts gelernt

Heute vor drei Jahren begann die Hochwasserkatastrophe in Sachsen. Eine solche Flut dürfe sich nicht wiederholen, waren sich alle einig. Geändert hat sich nichts. Im Gegenteil: Würde es jetzt noch mal so stark regnen, ginge es schlimmer aus als 2002

VON NICK REIMER

Drei Jahre nach der Flut im deutschen Südosten sind immer noch nicht alle Schäden behoben. „Von Monat zu Monat verändert sich das Stadtbild“, erklärte Sachsens Umweltminister Stanislav Tillich gestern bei einem Besuch in Wesenstein. Vor drei Jahren hatte ein kleines Flüsschen namens Müglitz hier straßenweise Häuser weggefressen. Heute stellen Bauarbeiter schwere Steinquader auf, um das Rinnsaal im Wiederholungsfall in die Spur zu zwingen.

Genau solche Bauten sind es, die den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) auf die Palme bringen. „Nichts gelernt“, lautet das Fazit einer Studie, die den Hochwasserschutz seit der Mulde-Elbe-Flut bilanziert. „Nach dem Hochwasser wurde viel darüber gesprochen, den Flüssen mehr Raum zu geben“, sagt BUND-Experte Ernst-Paul Dörfler. Passiert sei praktisch nichts. Gerade mal 150 Hektar Überflutungsflächen seien neu geschaffen worden – etwa 200 Fußballfelder. Sicherlich: Entlang der Elbe seien die Deiche verstärkt worden. Deiche vermittelten aber nur eine trügerische Sicherheit. Auch damals brachen sie.

Würde es heute ein Wetter geben wie 2002, wäre alles noch viel schlimmer. „Besonders im Einzugsgebiet der Mulde wurden die Ufer deutlich verstärkt. Das bedeutet: Wasser würde dort nicht mehr so stark überschwemmen, sondern noch schneller abfließen“, sagt BUND-Gewässerreferent Christian Schweer. Die Folge: Der Pegel würde im Tal der Elbe bei gleicher Wassermenge heute einen halben Meter höher ansteigen.

„Höhere Mauern und breitere Flussläufe sind tatsächlich kein ausreichender Schutz“, sagt Sachsens Umweltminister Tillich zur BUND-Kritik. Der Mensch werde die Natur aber nie beherrschen können. Deshalb wird etwa an der Müglitz eine 40 Meter hohe Staumauer gebaut. Sie soll im Wiederholungsfall zumindest mehr Zeit für die Rettung von Gut und Leben garantieren.

Am 12. August 2002 begann es zu regnen, tassenweise anfangs, eimerweise später: Binnen 24 Stunden prasselten im Erzgebirge 312 Liter Regen pro Quadratmeter nieder. Nie wurde irgendwo mehr Niederschlag in Deutschland registriert. Zum Vergleich: Brandenburg hat gerade mal doppelt so viel Niederschlag – verteilt aufs ganze Jahr.

Um die Kraft des damaligen Wassers mathematisch zu beschreiben: 312 Liter Regen pro Quadratmeter bedeuten eine Wassersäule von 31,2 Zentimetern. Zehn Quadratmeter Wassersäulen nebeneinander machen eine Wucht aus, die der eines 3,5-Tonnen-Lasters entspricht, wenn er mit 80 Stundenkilometern auf ein Haus rast.

Die so stürzenden Massen rissen 21 Menschen in den Tod. Allein in Sachsen summierten sich die Schäden auf 8,7 Milliarden Euro: 31.000 Häuser, 770 Kilometer Straßen, 580 Kilometer Bahnstrecken, 180 Brücken.

Der Wiederaufbau erwies sich für den Freistaat als kleines Konjunkturprogramm. „Sowohl 2003 als auch 2004 lagen die sächsischen Wachstumsraten an der Spitze im bundesweiten Vergleich“, sagt Martina Pirk, Sprecherin von Wirtschaftsminister Thomas Jurk (SPD). Daran habe die Beseitigung der Flutschäden deutlichen Anteil. Pirk: „In anderen Jahren wurde das Plus im verarbeitenden Gewerbe vom Minus in der Bauwirtschaft aufgesogen. In den vergangenen beiden Jahren war das nicht so.“

Vor drei Jahren lief Außenminister Joschka Fischer wahlkämpfend durch Dresden. FDP und Union lagen in Umfragen fünf Wochen vor der Wahl 9 Punkte vor SPD und Grünen. „Rot-Grün gilt als aussichtslos“, titelte die Nachrichten Agentur Reuters. Joschka Fischer musste seine Tour durch Sachsens Kapitale abbrechen: Es regnete zu stark. Drei Jahre später liegt Rot-Grün elf Prozent zurück. Fischer ist am Dienstag in Dresden.

Angeblich soll es regnen.