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Archiv-Artikel

AMERICAN PIE

NFL-Legende Brett Favre ist mal wieder auf Comeback-Tour – sportlich top, imagetechnisch weniger

Der Mittelfinger des Wikingers

Als Sportler im gepflegten Alter von vierzig Jahren kann man viele Dinge tun. Mann kann – dies sei nur ein Beispiel – wie der frühpensionäre Titan Oliver Kahn in einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender alte Allgemeinplätze in neuem Gewand als Expertenmeinung öffentlich machen. Mann kann nach Abschluss der aktiven Karriere Trainer werden, Manager, Verbandsfunktionär oder einfach nur Privatier sein, der sich im trauten Heim an den Meriten vergangener Jahre ergötzt.

Oder man kann wie Brett Favre noch auf dem Feld stehen und seinen gefühlt zwanzigsten Frühling erleben. Die Quarterback-Legende, seit 1991 in der National Football League aktiv, spielt in der aktuellen Saison 2009/10 bisher wie zu besten Zeiten, gab in fünf Partien bereits neun Touchdown-Pässe und ist der Hauptgrund für den perfekten Start seines Teams: fünf Spiele, fünf Siege.

Jüngster Lohn für Favre war die Wahl zum Spieler der Woche. „Ich merke, wie Brett sich von Spiel zu Spiel besser in unser Team einlebt und sich immer mehr zurecht findet“, so sein Trainer Brad Childress von den Minnesota Vikings, bei denen der Mann mit der schon legendären „4“ auf dem Leibchen seit dieser Saison das eiförmige Leder an den Mann zu bringen versucht. Ausgerechnet beim Lokalrivalen der Green Bay Packers spielt Favre nun – jener Packers, die von 1992 bis 2007 sein Team waren und mit denen er 1997 den Super Bowl gewann. Bei denen er in einer überfüllten Pressekonferenz unter Tränen seinen Rücktritt bekanntgab: „Ich weiß, dass ich noch spielen könnte. Aber ich will es nicht.“ Diese Auffassung änderte Favre nur unwesentlich später und entschloss sich zum Rücktritt vom Rücktritt. „Das Karriereende war nie so wirklich etwas für mich, ich bin hundertprozentig einsatzbereit“ war dann seine neue Maxime. Die Packers wollten ihren doch etwas gealterten Quarterback aber nicht um jeden Preis zurückhaben, und im Mix mit einer komplizierten Vertragssituation einigte man sich im so oft beschworenen „beiderseitigen Einvernehmen“ auf die Auflösung des Kontrakts.

Favre heuerte bei den New York Jets an, mit denen er nach anfänglich ansprechender Saison allerdings die Playoffs verpasste. Nach Saisonende wiederholte sich das Spiel aus dem Jahr 2008. „Es ist Zeit für euch, sich nach einem anderen Quarterback umzusehen“, so Favre, diesmal zu Jets-Manager Mike Tannenbaum. Wieder dachte Favre an einen Abschied – und wieder änderte er nur kurz darauf seine Meinung. Das nun schon gewohnte Spiel: Er bat um Vertragsauflösung, sie wurde ihm gewährt, ein neues Team nahm ihn auf – dieses Mal die Minnesota Vikings. Tenor in den Medien nun: Favre beschädige mit dem ewigen Hin und Her – trotz Top-Leistungen – sein eigenes Denkmal. „Wir lieben ja Comebacks, aber damit schadet er sich nur“, so Jeff Pearlman von ESPN. „Und mit dem Wechsel ausgerechnet nach Minnesota zeigt er seinen treuen Fans in Green Bay den ausgestreckten Mittelfinger mit aller möglichen Deutlichkeit.“

Der Kritisierte selbst zauderte auch nicht mit Lobhudeleien auf den neuen Arbeitgeber: „Dies ist – in puncto Talent und Athletik – das beste Team, für das ich je gespielt habe.“ Vor knapp einer Woche hatte Favre dann auch noch ausgiebig Gelegenheit, spieltechnisch den Mittelfinger zu zeigen: Mit den Vikings schlug er die Packers 30:23 – in der dank der Brisanz meistgesehenen Übertragung des US-Kabelfernsehens seit Mattscheibengedenken. 22 Millionen Zuschauer wollten einen Favre sehen, der vielleicht an seinem eigenen Denkmal kratzt – aber das mit Topleistungen. DAVID DIGILI