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Ist der Osten noch immer das Außen?

Wie die taz ihre Sachsen-WG aufstellte, wie sie berichtete und wie sie wahrgenommen wurde. Ein Resümee und ein Ausblick

Aus Dresden Christian Jakob

Vielleicht sind es Bemerkungen wie die des Spiegel-Redakteurs Alexander Neubacher. Zu einem Foto der völlig abgewrackten Altstadt von Halberstadt im Jahr 1985 schrieb er: „Und dann kam der Kapitalismus und hat alles kaputtgemacht.“

Oder Texte wie jener des Politologen Udo Knapp kürzlich in der taz. Die Ossis seien geistig aus dem „muffigen DDR-Staatsheim“ noch immer nicht ausgezogenen, stand darin. Eine auf Demokratie gebaute Gesellschaft sei in den Neuen Ländern deshalb „nicht entstanden“.

Oder auch die Bananen, die die taz Ost statt Punkten für sächsische Spezialitäten vergab, die die Redaktion verkostete.

Vielleicht sind das Facetten jener Mischung aus Geringschätzung, Desinteresse, vielleicht auch Empathielosigkeit gegenüber ostdeutschen Erfahrungen durch westdeutsche Medien. „Ostalismus“ nannte es die Zeit – westdeutsche Berichterstattung, in der die Ossis „symbolische Ausländer“ sind, eine „Outgroup“. Dabei ist die Zeit selbst seit 10 Jahren mit der Zeit im Osten in Leipzig präsent.

Auch die taz hat sich seit der ersten taz Ost 1990/91 intensiv mit den neuen Bundesländern beschäftigt. Es gab und gibt starke ostdeutsche Stimmen in der Redaktion. Doch „Ossi-Othering“, das wurde nun auch der taz Ost vorgeworfen: Eine „Expedition“ zu sein in ein Außen, bestenfalls auf der Suche nach einer Art Edler Wilder – den demokratisch Gesinnten im braunen Sachsen.

Wie damit umgehen? Etwa, indem viele Ostdeutsche zu Wort kommen: Etwa ein Drittel jener, die in den letzten Wochen für die taz in Dresden waren, sind im Osten sozialisiert oder leben dort. Und zuhören: Zum Beispiel mit den meinland-Veranstaltungen, mit denen wir dort unterwegs waren, wo die Leute nicht ticken wie in Kreuzberg oder Freiburg.

„1989“ und seine Folgen, die Frage nach ostdeutscher Identität und Geschichte, waren schon vor dem Wahlkampf mit Macht zurückgekommen. Die AfD hat sich das zunutze gemacht. Sie sprach von der „Vollendung der Wende“ gegen die Multikulti-Gesinnungsdiktatur. Das hat verfangen und neue Entfremdung provoziert. „Bei bestimmten Themen wird man heute ausgegrenzt, wenn man seine Meinung sagt“: 69 Prozent der SächsInnen sehen es so – und 98 Prozent der AfD-WählerInnen.

Es heißt, es dauere eine Generation, bis kollektive Verletzungen wie jene, die die Jahre nach 1989 verursacht haben, wirklich artikulierbar werden. Vielleicht erklärt das, mit welcher Verve das Ost-West-Thema jetzt plötzlich verhandelt wird, warum so viele so wütend sind – und sich auf die nationalistische Vereinnahmung der DDR-Revolution einlassen.

All das passt im Übrigen auch zur Zeit, mit ihrer Hochkonjunktur der Identitätspolitik, in der Antidiskriminierung für viele gar nicht mehr anders vorstellbar ist als mittels der Betonung der Identität – statt vielmehr als Kampf gegen deren Relevanz. So kritisierte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, dass in ARD und ZDF die Beiträge zu den Chemnitz-Ausschreitungen von Journalisten stammten, „die nicht dort leben“ – und forderte, der neue Leiter des ARD-Hauptstadtstudios müsse ostdeutsch sein.

Entscheidend aber dürfte weniger sein, wie viele Ostdeutsche berichten, als vielmehr, ob der Osten nach den Wahlen wieder zur Berichterstattungswüste wird. Wer den Osten nicht als Außen verhandeln will, ist gut beraten, dauerhaft auf die Zivilgesellschaft dort zu schauen. Für die taz ist das das Gegenteil von „Ossi-Othe­ring“: Keine Suche nach den Edlen Wilden, sondern selbstverständlicher Teil unserer Berichterstattung – und nach der Wahl umso wichtiger.

Texte über den Osten müssen nicht von Ossis geschrieben sein. Aber es sollten eben doch öfter Worte wie „Treuhand“ und „Lebensleistung“ darin stehen. Mehr Raum für ein ostdeutsches Geschichtsbild hilft, das Jetzt mit seiner Explosion des Ressentiments zu erklären. Es darf es aber nicht entschuldigen.

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