: Feuer auf Augenhöhe
Wenn in Sarajevo das Derby zwischen dem FK und den Eisenbahnern ansteht, scheint das Stadion schier zu brennen. So richtig stören will sich daran keiner
Aus Sarajevo Rico Noack
„Visit Sarajevo“ stand auf den Aufwärmshirts der Spieler geschrieben. Die nationale Tourismusbehörde von Bosnien und Herzegowina, BH-Tourism, fungierte als offizieller Spielsponsor. Dabei wären die Fans des FK Sarajevo sowieso gekommen. Als Gäste im mit 1.573 Tickets ausverkauften Auswärtssektor. Gastgeber waren die „Eisenbahner“, so die Übersetzung von „Željezničar“. Das Derby Željezničar Sarajevo gegen den FK stand an. Die Klubs kämpfen auf Augenhöhe gegeneinander. Während in der bosnisch-herzegowinischen Fußballmeisterschaft, der Premijer Liga, FK Željezničar sechsmal den Titel gewinnen konnte, gewann der Stadtrivale drei Landesmeisterschaften. Dafür gab es einen Titel mehr im jugoslawischen Titelrennen. Ein Umstand, den die Anhänger des FK Sarajevo gern unterstreichen. Schließlich dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass die frühere Liga ungemein schwieriger zu gewinnen gewesen war – bei Gegnern wie dem Roten Stern und Partizan Belgrad, Dinamo Zagreb und Hajduk Split.
Immer wieder hört man von beiden Seiten, dass die Stadt gleichmäßig aufgeteilt sei, es keine eineindeutigen Kerngebiete der jeweils einen oder anderen Seite in der Stadt mehr gebe und beide Vereine gleich viele Fans hätten. Eine bemerkenswerte Einschätzung, neigen Fans doch sonst gern dazu, den eigenen Verein immer in der Top-Position zu sehen. Sie lässt sich aber mit Zahlen belegen, was die realen Stadiongänger wie auch die virtuellen Fans betrifft. In der Saison 2018/19 konnte der aktuelle Meister FK Sarajevo, natürlich auch durch sportlichen Erfolg, 4.294 Menschen regelmäßig in sein Stadion locken. Nur 300 Fans weniger waren es beim Vierten der Abschlusstabelle, Željezničar Sarajevo. So viele Fans zieht kein anderer Klub im Land an. Auf Facebook folgen den Eisenbahnern 193.489 Menschen. Der FK hat nur 3.000 virtuelle Fans weniger. Man kann das als Unentschieden bezeichnen. Am Spieltag selbst interessiert das jedoch niemanden.
Für die Fans des FK Sarajevo, der Horda Zla, hatte das Spiel schon lange vor dem Anpfiff begonnen. Die Tickets für 5 Euro bekam nur, wer auch seine Personalien beim Kartenkauf abgab. Eine weitere Einschränkung bestand darin, dass nicht einfach selbstbestimmt in den Gästeblock spaziert werden konnte, sondern eine konkrete Zeit dafür vorgegeben wurde. Nur in der Zeit von 17 bis 18.30 Uhr war es gestattet, das Stadion Grbavica zu betreten. Anpfiff war um 20 Uhr.
Nachdem die meisten Fans in einem gemeinsamen Marsch das Stadion erreichten, hieß es, sich einer recht peniblen Einlasskontrolle zu unterziehen und im noch leeren Stadion einzusingen. Die Fans der Heimmannschaft betraten das Stadion, nachdem die gesperrte Straße vor dem Stadion wieder geöffnet wurde. Eine Viertelstunde vor Spielanpfiff waren fast alle der 11.000 Plätze im Stadion gefüllt. Wer später gekommen wäre, hätte hier auch die ersten Höhepunkte verpasst: das erste Tor für die Gäste direkt nach Anpfiff und die darauf folgende ausgiebige Pyroshow. Insgesamt fielen sieben Tore. 5:2 haben die Hausherren am Ende gewonnen. Jedes Tor zog größere oder kleinere Feuer- und Böllerspielereien nach sich. Und auch sonst knallte und zischte es dauernd.
Der weitestgehend in Deutschland akzeptierte Status quo, dass auf Böller zu verzichten sei und Bengalos die Hand nicht zu verlassen hätten, gilt vor Ort nicht. Beide Seiten warfen ihr reingeschmuggeltes Material immer mal wieder über die Blockbegrenzung. Über meterhohe Fangnetze flogen mindestens zwei Bengalfackeln in der zweiten Halbzeit direkt in den voll besetzten Nachbarblock. Eine Spielunterbrechung gab es deshalb nicht. Auch nicht, als beide Seiten minutenlang geraubte Fan-Devotionalien der jeweils anderen Fangruppe am Zaun abfackelten.
Nicht verbrannt dagegen wurde eine große Trommel, die bei einem Überfall auf die „Maniacs“, den Ultras von FK Željezničar Sarajevo, erbeutet wurde. Diese wurde in der zweiten Halbzeit demonstrativ von Vermummten auf dem Zaun in Richtung Heimfans hochgehalten und später provokativ bespielt.
Gesungen wurde in allen Fansektoren. Dies änderte sich erst, als pünktlich zum Abpfiff die Polizei den Gästeblock räumte. Die „Maniacs“ und alle übrigen Anwesenden durften derweil ihre Blocks nicht verlassen. Alles so weit ganz normal also beim 119. Stadtderby, wie später Anhänger beider Seiten zu berichten wussten.
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