: Das „schwerste Bistum“ der Welt
Heute feiert die Berliner Erzdiözese 75. Geburtstag. Das Bistum hat die deutsche Geschichte im vergangenen Jahrhundert so intensiv erlebt wie kaum eine andere Kircheneinheit. Die Nazis verfolgten die katholischen Gläubigen, die SED drangsalierte sie
VON PHILIPP GESSLER
Vielleicht ist es ein wenig übertrieben, aber ein Körnchen Wahrheit steckt schon drin: Das Erzbistum Berlin, das heute vor 75 Jahren gegründet wurde, galt lange als das „schwerste Bistum der Welt“. Gegründet in protestantischem Urland, verfolgt unter den Nazis, drangsaliert von der SED, mit Sitz in einer „gottlosen“ Metropole und heute gebeutelt von brutalen Sparzwängen – man kann verstehen, wie das Wort von der Mühe mit dieser Verwaltungseinheit der katholischen Kirche entstehen konnte. Mühsam – aber aufregend war sie stets, diese Hauptstadt-Diözese, die für kirchliche Verhältnisse erstaunlich jung ist.
Berlin, Hauptstadt Preußens und des Kaiserreichs, war für die römisch-katholische Kirche immer ein schwieriges Terrain. Während des „Kulturkampfs“ in den 1870er-Jahren wurden überall im neuen Reich Bischöfe abgesetzt und mit Gefängnis bestraft. Die preußische Regierung war besonders scharf und ließ antikatholischen Ressentiments oft freien Lauf, zumal die Katholikinnen und Katholiken immer klar in der Minderheit blieben. Anfang der 1920er-Jahre lebten gerade einmal 400.000 katholische Christen in Großberlin. Immerhin einer aber sollte es später zu großer Berühmtheit bringen: der katholische Nuntius Eugenio Pacelli, von 1925 bis 1929 Vatikanbotschafter in der deutschen Hauptstadt. Pacelli wurde später Papst Pius XII., der – obwohl er die deutschen Verhältnisse sehr gut kannte – angesichts des Holocausts versagte. Sein Büro ist heute noch im Erzbischöflichen Ordinariat, der Verwaltungszentrale des Bistums in der Niederwallstraße, zu bestaunen.
Pacelli war es, der im Juli 1933 im Namen des Vatikans das Konkordat mit den Nazis aushandelte – der erste staatsrechtliche Vertrag der deutschen Diktatur, der ihr außenpolitisch viele Türen öffnete. Roms Interesse bei diesem Abkommen mit den Nationalsozialisten war vor allem, das geistliche und organisatorische Leben ihrer eigenen Gläubigen zu sichern – gegen die menschenverachtende Ideologie der Braunen hatten viele Bischöfe wenig oder nichts, zumal Hitler stramm antikommunistisch war. Da gehörte der dritte Bischof von Berlin, Konrad Graf von Preysing, schon zu den Mutigeren. „Wir sind in den Händen von Verbrechern und Narren“, erkannte der ins fremde Berlin beorderte Bayer mit Blick auf die Nazis.
Von 1935 bis 1950 leitete Graf Preysing das Bistum, das die gesellschaftliche Mischung – einige Nazi-Fans, viele Mitläufer, wenige Widerstandskämpfer – durchaus widerspiegelte. In ganz Deutschland wurden 110 katholische Geistliche von den Nazis umgebracht, einige von ihnen kamen aus Berlin. Der Bekannteste von ihnen ist Dompropst Bernhard Lichtenberg, verstorben auf dem Weg ins Konzentrationslager Dachau. Er protestierte persönlich im Preußischen Staatsministerium wegen Gräueltaten gegen jüdische und andere Häftlinge des KZ Esterwegen – „mit der Bitte um Prüfung und Remedur“. Der jüngst verstorbene Papst Johannes Paul II. sprach ihn 1996 bei einer Messe im Olympiastadion selig.
Nach dem Krieg glaubten die Katholikinnen und Katholiken der Hauptstadt aufatmen zu können – aber schon wieder landeten sie auf der Verliererseite. Wer sich im Ostteil der Stadt etwa mit der damaligen Bistumszeitung Petrusblatt erwischen ließ, wurde verfolgt und vor Gericht gestellt. Zwar konnte der damalige Bischof von Berlin, Julius Döpfner, wegen des Viermächtestatus in der ganzen Stadt ungehindert umherfahren. Im Mai 1958 aber wurde ihm die Ausreise aus dem Stadtgebiet zur Teilnahme an einer Jugendwallfahrt nach Alt-Buchhorst verweigert. Bis zum Ende seiner Amtszeit im Juni 1961 konnte der Bischof die Bistumsgemeinden in der DDR nicht mehr besuchen. Im Juli 1958 wurden in Rathenow und Biesdorf elf katholische Männer und vier Jesuiten unter dem Vorwurf der Spionage verhaftet. Später wurden sie zu Zucht- und Gefängnisstrafen verurteilt. Ähnliche Fälle kamen immer mal wieder vor.
Dann der Mauerbau am 13. August 1961: Die Stimmung unter den katholischen Christen der Hauptstadt sank auf den Nullpunkt. Der äußerst populäre Döpfner war zum Erzbischof von München-Freising ernannt worden, durch Berlin und das Bistum verlief eine fast unüberwindliche Staatsgrenze. Dennoch blieb das Erzbistum bis zum Mauerfall eine der wenigen wirklich gesamtdeutschen Institutionen. Als seine im Krieg stark beschädigte Hauptkirche, die St.-Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz, am 1. November 1963 renoviert wiedereröffnet wurde, sagte der neue Erzbischof Alfred Bengsch in einem Hirtenwort an die Gläubigen seines Bistums: „Es ist ein Tag der Freude und des Schmerzes zugleich: der Freude über das gelungene Werk, des Schmerzes, weil für die Hälfte von euch der Zugang zur Kathedrale nicht möglich ist.“
Bischof Bengsch durfte 1974 erstmals in die Bundesrepublik reisen. Dank der Ostpolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) gab es immer mehr Erleichterungen für die Begegnung der Menschen aus Ost und West. Einer, der davon profitierte, war der damalige Erzbischof von Krakau, Karol Kardinal Wojtyla, der Berlin 1975 besuchte – auf Fotos sieht man ihn meist lächelnd oder lachend. Ein Jahr später gab der Vatikan dann bekannt, dass von nun an alle Bischöfe Ostdeutschland in einer „Berliner Bischofskonferenz“ eingruppiert würden, geleitet vom Bischof von Berlin, der auch als Einziger zugleich Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz blieb.
Auf Bengsch folgte Joachim Kardinal Meisner, der bis kurz vor dem Mauerfall die Hauptstadt-Diözese leitete. In den kommenden Tagen wird er als Kardinal von Köln auf dem Weltjugendtag neben dem Papst strahlen. Sein Nachfolger, der jetzige Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky, hat dagegen die vielleicht undankbarste Aufgabe im „schwersten Bistum der Welt“: Er darf seit 16 Jahren vor allem eines: sparen, sparen, sparen.