: Virtuosin des Blow Jobs
Als „Deep Throat“ Anfang der Siebzigerjahre in die US-amerikanischen Kinos kam, mischte sich sogar Jackie Kennedy unter die Zuschauer. Porn Chic eroberte den Mainstream, bis die Rechte nicht mehr zusehen wollte. Die Dokumentation „Inside Deep Throat“ erzählt die Geschichte dieses Pornofilms
VON CRISTINA NORD
„Deep Throat“ zu drehen dauerte sechs Tage und kostete 25.000 Dollar. Hinter und vor der Kamera standen Leute ohne viel Erfahrung. Gerard Damiano, der Regisseur, hatte zuvor als Friseur gearbeitet. Als „Deep Throat“ 1972 in die US-amerikanischen Kinos kam, spielte er sechs Millionen Dollar ein. Jackie Kennedy, Jack Nicholson und Warren Beatty schauten ihn sich an, die New York Times schrieb darüber. Politiker, Staatsanwälte und Richter befassten sich damit. Ein Darsteller landete seinetwegen im Knast. Linda Lovelace, der Star, führte seit dem Dreh ein Leben, das von dem Film überstrahlt wurde, selbst als sie dies gar nicht mehr wollte. Und dann war da noch der FBI-Agent, der die relevanten Informationen im Watergate-Skandal lieferte. Sein Deckname war „Deep Throat“.
„Deep Throat“ war der erste Porno, der den gesellschaftlichen Mainstream eroberte. Aus heutiger Sicht liegt sein Charme in der Unbeholfenheit. Sehr schön zum Beispiel ist, wie die expliziten Sexszenen mit einer Tonspur aus Funk-Musik und nachträglich eingemischten Geräuschen statt mit dem Stöhnen der Darsteller unterlegt sind. Kurz bevor die Männer ejakulieren, ist jeweils ein lustiges Gurgeln zu vernehmen.
Dabei folgt der Film einer merkwürdigen Prämisse. Es geht um eine Frau, Linda Lovelace, der der Weg zum Orgasmus versperrt ist. „Ich möchte Glocken hören, die Erde soll beben“, sagt sie. Aber nicht viel mehr als ein Kitzeln spürt sie – bis sie einen Arzt (Harry Reems) aufsucht, der ihre Klitoris tief unten in ihrem Rachen entdeckt.
So kommt es zu dem Paradox, dass Linda, die Frau auf der Suche nach der eigenen Lust, zu einer Virtuosin des Blow Jobs wird. Diese skurrile Anpassung der weiblichen Anatomie an die Lust des Mannes spiegelt sich denn auch in den zwei Szenen, die Lindas Orgasmus in einer Parallelmontage visualisieren. Vom Blow Job wird auf Kirchenglocken, auf den Start einer Rakete und auf Feuerwerk geschnitten. Je weniger Linda von ihrem Höhepunkt trennt, umso hastiger wird die Montage. Zu einem jähen Ende kommt sie, sobald das Ejakulat des männlichen Partners sichtbar wird.
Vielleicht können diese Parallelmontagen stellvertretend für die Aporien der sexuellen Revolution stehen. Zwar wollte man sich mit dem weiblichen Höhepunkt befassen, am Cum Shot ging aber kein Weg vorbei; zwar mochte man sich die Befreiung der weiblichen Sexualität auf die Fahnen schreiben, doch so richtig Ernst war es einem darum nicht zu tun. Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis feministische Künstlerinnen das weibliche Geschlecht zelebrierten, ohne dafür den Penis zum Maßstab zu nehmen. 1979 arrangierte Judy Chicago Porzellanvaginas zur Installation „The Dinner Party“; 1975 veröffentlichte Tee Corinne ihr „Cunt Coloring Book“, eine Mischung aus Kunst und Aktivismus.
Nun kommt „Inside Deep Throat“ ins Kino, die Dokumentation zu „Deep Throat“. Sie beleuchtet die Geschichte des Pornofilms, der Darsteller und der wechselvollen Rezeption von einem Standpunkt aus, der die gegenwärtigen Kulturkämpfe in den USA fest im Blick hat. Die Regisseure, Fenton Bailey und Randy Barbato, haben Archivmaterial, Originalfilmszenen und Talking-Heads-Sequenzen zusammengetragen und in atemloser Folge montiert. Das ist attraktiv, insofern sich Bailey und Barbato darauf verstehen, ihr Material zu erotisieren.
In einem großen Bogen spannen die Regisseure ein Narrativ auf, das von den glücklichen Tagen des Pornos kündet, von jener Zeit Anfang der Siebziger, als jedermann experimentierte, egal ob mit Sex, Drogen oder neuen Lebensformen. Im Kino herrschte ohnehin Aufbruchsstimmung. Leute wie Gerard Damiano träumten davon, als unabhängige Filmemacher wahrgenommen zu werden; sie glaubten, dass sich Hollywood in dem Maße für den Pornofilm öffnen wie es den experimentellen Film entdecken würde. Aus der Rückschau erklärt John Waters: „Man kann sich heutzutage kaum noch vorstellen, wie befreiend das war“, und Wes Craven sagt: „Eine Zeit lang war Porno so etwas wie der Einstiegsjob.“ – „Ich war auch dabei, ich sag’ aber nicht, bei welchem.“
Es waren goldene Zeiten. Paul Thomas Andersons Spielfilm „Boogie Nights“ hat jenem moment juste, in dem alle im Einklang mit sich selbst waren, viel Spaß hatten und im selben Atemzug die Gesellschaft liberalisierten, ein Hohelied gesungen. Dass dieses Paradies möglicherweise nie existierte, die Orgasmen vorgetäuscht waren – all das interessiert „Inside Deep Throat“ nicht.
Lieber lassen Bailey und Barbato die Feinde von „Deep Throat“ aufmarschieren: die Rechten, die Feministinnen und auch die Mafia, die den Film finanzierte und hinterher die Einspielergebnisse eintrieb. Konservative Politiker und Staatsanwälte versuchten, den Film zu zensieren, Feministinnen sprangen ihnen, angestachelt vom Anti-Porno-Furor, zur Seite, und dann kam das größte Übel: Video. Die ehemalige Pornodarstellerin Andrea True sagt es so: „Heute geht es nur ums Geld, damals ging es uns um Rebellion.“
„Inside Deep Throat“ will dieser Perspektive nichts entgegensetzen. Das ist schon deswegen bedauerlich, weil die Art und Weise, wie der Feminismus über Pornografie dachte, sehr reduziert dargestellt wird. Es ist umso bedauerlicher, als die Brüche in der Vita Linda Lovelaces zwar erwähnt, nicht aber ernst genommen werden. Lovelace starb 2002, sie konnte also nicht für den Film befragt werden. Nachdem sie sich im Glanz des Porn Chics gesonnt hatte, wechselte sie ins Lager der Feministinnen, brachte das Buch „The Ordeal“ („Die Qual“) heraus und trat in Talkshows als Streiterin gegen Pornografie auf: Jedes Mal, wenn jemand „Deep Throat“ sehe, sei das wie eine Vergewaltigung für sie. Aus Geldgründen posierte sie dann aber doch wieder für Nacktfotos. Die Erklärung, die Bailey und Barbato hierfür anbieten, ist eine Anmaßung aus dem Munde Gerard Damianos: „Linda brauchte immer jemanden, der ihr sagte, was sie tun sollte.“
„Inside Deep Throat“. Regie: Fenton Bailey und Randy Barbato, Dokumentarfilm, USA 2005, 90 Min.