wortwechsel
: War die Unteilbar-Demo zu sehr auf die AfD fixiert?

Kurz vor den Wahlen in Sachsen und Brandenburg haben in Dresden 40.000 Menschen für eine offene, freie Gesellschaft demonstriert. Hier einige Kommentare von taz-LeserInnen

#unteilbar: Solidarität statt Ausgrenzung! Fast 400 Organisationen hatten aufgerufen zur Großdemonstration in Dresden für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit Foto: Fritz Engel

„Weniger Moral wagen: Warum Kontaktverbote, Nazivergleiche und schwungvolle Verdammung nicht viel gegen Rechtspopulismus helfen“,

taz vom 24./25. 8. 19

Danke für die Zumutung!

Ich bin Dresdner und war auf der Unteilbar-Demo mit über 40.000 TeilnehmerInnen. Zweifellos ein wichtiges Signal für Sachsen vor der Landtagswahl. Fazit: Es war ganz okay. Die extreme Fixierung auf die AfD, die damit wieder einmal die Agenda beherrschte, und die rituelle Selbstbeweihräucherung, wie toll, solidarisch und weltoffen man sei, nervte etwas. Aber das gehört bei Großdemos breiter Bündnisse offenbar dazu.

Die „Sachsentour“ der taz ist wirklich ein Meilenstein in der Berichterstattung über den Osten! Unverkrampft, wissbegierig, empathisch. Sensation: Ein AfD-Kandidat aus Schneeberg lädt taz-ReporterInnen ein, unter seinem Wahlkampfschirm Zuflucht vor dem Nieselregen zu suchen – „Sie sind von der taz? Sie dürfen trotzdem unter meinen Schirm.“

Aber die eigentliche Zumutung für alle, die in einer linken Blase leben, dürfte der taz-Beitrag „Weniger Moral wagen“ sein: „Die AfD-Ideologie (ist) eher schwach ausgeprägt“, gar eine „Revolte der Provinz gegen den Lebensstil der urbanen, liberalen, weltoffenen Eliten und Mittelschichten“. Mehr noch: Stefan Reinecke macht sich ein Argument zu eigen, das auch die Rechten gerne verwenden, wenn es um die GroKo geht: „Union und SPD erscheinen als zwei Flügel einer technokratischen Staatspartei, die alternativlos die Mitte definiert.“ Er rät deshalb der SPD, ihr links-etatistisches, und der CDU, ihr konservatives Profil zu schärfen; nur so könne die AfD wirkungsvoll bekämpft werden. Dialoge der CDU mit der AfD hält er für klüger, „als sich hinter Kontaktverboten zu verschanzen, die nur der AfD nutzen“.

Vielen taz-LeserInnen dürfte dies als Verharmlosung, gar als Provokation erscheinen. Doch Reineckes Artikel könnte in die Zukunft weisen: Nur eine Linke, die selbstbewusst eine echte, solidarische Alternative vertritt, ohne sich von der sogenannten Alternative für Deutschland die Agenda diktieren zu lassen, wird Erfolg bei den Wählern haben. Stefan Kleie, Dresden

Geschlossene Feier?

Mich interessieren die Menschen, die nicht auf der Unteilbar-Demo sind und mit ihrer Stimme oder ihrem Boykott die Wahl entscheiden werden. Bereits auf dem Weg zum Hotel wird anhand der Wahlplakate deutlich, wie unterschiedlich diese kritische Masse seitens der Parteien adressiert wird. Keine Spur von Reichs- und Wutbürgern, von Glatzköpfen und Gröhlhälsen, die das Fest stören wollen.

Und auch die stolzen und stillen Patrioten haben sich augenscheinlich aus Dresden zurückgezogen. Man könnte fast denken, alles ist gut. Für die Wähler, die am 1. September aus Verdruss zu Hause bleiben werden oder aus noch größerem Verdruss AfD wählen, dürfte die Unteilbar-Demo wie eine geschlossene Gesellschaft wirken – eine Demonstration, die an der Realität vieler Menschen vorbei demonstriert. Eine Party der Minderheiten. Wer aber richtet sich an die vielen Menschen, denen es heute wohl besser geht als in der DDR, aber schlechter als den Wessis und die angesichts der weltpolitischen Gesamtlage und des schnellen gesellschaftlichen Wandels die berechtigte Angst haben, dass es ihnen bald noch schlechter gehen wird? Im Vergleich zu den zahlreichen selbstreferenziellen Botschaften anderer Parteien, muss ich der AfD die größere Intelligenz und Souveränität im Wahlkampf bescheinigen. Leider. Schon der Wahlslogan „Trau Dich!“ verbindet das verletzte Selbstvertrauen der Enttäuschten mit der Hoffnung auf Veränderung und einer klaren Handlungsaufforderung.

Shit, die machen das Richtige im Falschen, denke ich – und das darf es ja eigentlich gar nicht geben. Und so stehe ich hier, umzingelt von beseelten und bunt angemalten Tänzern für die Demokratie oder die Freiheit oder zumindest die freie Liebe – und mache mir etwas Sorgen.

Roman Mares, Stuttgart

Gefährliche Lösung?

Letztlich läuft die Analyse des Autors darauf hinaus, dass Zusammenarbeit mit der AfD unvermeidlich sei und die Partei und auch ihre Wähler durch Diskursangebote irgendwie domestiziert werden könnten. Und das vor dem Hintergrund, dass in der AfD rechtsextremes Gedankengut immer salonfähiger wird. Richtig ist, ein geschlossenes Weltbild der Neuen Rechten, der AfD fehlt. Ihre Ideologie ist schwach ausgeprägt, sie folgt nicht bruchlos faschistischen Traditionen.

Das mindert aber nicht ihre politische Gefährlichkeit, ihren menschenverachtenden, rassistischen Politikansatz. Helfen kann nur ein aufklärerischer Diskurs, so mühsam der auch sein mag. Komplexe Probleme, wie das Einwanderungsthema, können nur differenziert bewältigt werden. Sprechen und handeln wir zusammen wider die Vereinfacher, da hilft kein Anbiedern. Peter Stolt, Hamburg

Viele bunte Fahnen

„Unter Eingeweihten“, taz vom 23. 8. 19

Ich habe auf der Unteilbar-Demonstration viele Hundert bunte Fahnen aus allen möglichen politischen Spektren gesehen, aber nicht ein einziges Mal Schwarz-Rot-Gold. Diese Farben haben längst eine ganz andere Bedeutung als etwa eine „freiheitlich, demokratische und liberale Grundeinstellung“. Deutschlandfahnen werden auf den Pegida-Kundgebungen und auf Kundgebungen der AfD massenhaft geschwenkt – mit einer mittlerweile völlig anderen Bedeutung der Farben, nämlich in etwa so: „Wir sind Deutsche, und wir wollen hier gefälligst keine Nichtdeutschen mehr haben!“

Es ist wohl keiner der 35.000 Teil­neh­mer*innen auf der Demo in Dresden jemals auf den Gedanken gekommen, dort eine solche Fahne mit Schwarz-Rot-Gold zu zeigen. (Außerdem, wer hat schon so eine Fahne bei sich zu Hause? Ich jedenfalls nicht.) Bitte berücksichtigt doch in Zukunft bei euren Beiträgen die Veränderung der allgemeinen Wahrnehmung und Bedeutung dieser Fahnenfarben, und zwar nicht nur in Dresden.

Kai Gudel, Dresden