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Marken für Hippies

Die DDR überlebt unter der Sonne Kaliforniens

DDR-Foto: Michael Ringel

Da der sommerlochleere Nachrichtenticker am gähnigen Donnerstag gar nichts hergab, kommt hier eine Schnurre aus dem bewegten Leben des Wahrheit-Redakteurs: Kürzlich geriet der Wahrheitist nämlich in San Francisco durch einen Zufall in das alte Beatnik-Lokal Vesuvio Café, weil er offenbar magisch angezogen wurde von dieser Mischung aus Althippies, Literatur-Aficionados und Indian Pale Ale.

Das Vesuvio ist inzwischen 71 Jahre alt und war schon zu Beatnick-Zeiten legendär, weil Jack Kerouac dort jene Nacht im Jahr 1960 durchtrank, in der er Henry Miller zu Hause in Big Sur treffen sollte, ihn aber jede Stunde anrief, um dem Schriftsteller zu versichern, er komme ganz sicher noch vorbei. Kerouac und Miller trafen sich nie. Dafür tranken im Vesuvio von Allen Ginsberg über Dylan Thomas bis Francis Ford Coppola alle – und jetzt der Wahrheitist.

An diesem heißen Nachmittag trafen sich dort allerlei kalifornische Vintage-Kräfte, weil eine Vernissage stattfand. Champagner wurde zwischen die Silberlocken gegossen. Es herrschte Sandalen- und Halskettchenpflicht, und manch alte Falte straffte sich wie von Zauberhand beim Wiedertreffen nach so vielen Jahren.

Nur der Künstler blieb still und bescheiden. Aber was war das auch für „Kunst“ an den Wänden? In den Rahmen hingen akkurat abgemalte Briefmarken. Mit ostdeutschen Motiven! „25 Jahre Deutsche Volkspolizei“ oder „15 Jahre DDR“. Bewundernde Ahs und Ohs stießen die Gäste aus. Erst nach mehrmaligem Nachfragen erklärte der schüchterne Künstler, der seinen Namen nicht nennen wollte, wie ihm die Idee gekommen war.

Vor Jahren hätte ein Besucher ihm die Marken mitgebracht, die lange in seinem Atelier gelegen hätten, und nun habe er sie in seine Malerei überführt. Begeistert beglückwünschte der Wahrheitist den Künstler dafür, dass er zwar nicht der Erste und Einzige sei, den aus der Distanz von rund 12.000 Kilometern und 30 Jahren das untergegangene ostdeutsche Gesamtkunstwerk fasziniere, ihm sei allerdings mit seinen Reproduktionen von Alltagsgegenständen doch etwas Einmaliges gelungen: Im sonnigen Kalifornien überlebt die DDR. Endlich ist sie dort angekommen, wo sie hingehört – in den Hippiehimmel. (mir)

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