Fluchtreflexe auf dem Friedhof

Trotz starker Sprüche der Führungsebene befindet sich Leverkusen nicht „auf gleicher Augenhöhe“ mit den Bayern – sondern verliert 2:5. Sportdirektor Völler hält an den Saisonzielen fest: Platz 1 bis 3

„Das schlechteste Spiel, seit ich hier bin“, sagte Bernd Schneider und flüchtete

AUS LEVERKUSENERIK EGGERS

Als Bernd Schneider in der Mixed Zone der BayArena ein weiteres Rudel Journalisten erspähte, ergriff er das Weite. „Ich bin jetzt weg“, sagte er, obwohl mitten in einem Erklärungsversuch steckend für die bittere 2:5-Heimniederlage gegen Bayern München. Und dann entfleuchte der Nationalspieler mit einer letzten kühnen Körpertäuschung in den geschützten Kabinentrakt – nach dem, wie er zuvor freimütig eingeräumt hatte, „schlechtesten Spiel, seit ich in Leverkusen bin“. Und er ist schon länger da: 1999 kam er von Eintracht Frankfurt.

Das 2:5 besaß nicht nur für Schneider eine historische Dimension. Dabei hätte die schlimmste Heimpleite seit über 20 Jahren noch deftiger ausfallen können. Trainer Klaus Augenthaler flüchtete sich einmal mehr in die bildhafte Sprache des Krieges, um den Klassenunterschied beider Mannschaften deutlich zu machen: „Wir haben permanent mit der weißen Fahne gespielt.“ Um in der Militärmetaphorik zu bleiben: Die Friedensangebote hatte der Gegner gern akzeptiert. Beim 0:1 Ballacks (3. Minute) war vom linken Außenverteidiger Athirson nichts zu sehen, und auch Keeper Jörg Butt fiel bei diesem Weitschuss ins kurze Eck mit dem Tempo einer Bahnschranke. „Der war zu halten“, befand Augenthaler trocken. Vor dem 0:2 durch Makaay (11.) hatte Schneider einen Freistoß in die Füße des Bayernspielers Karimi gespielt. Als Berbatow mit einem zweifelhaften Elfmeter auf 1:2 verkürzt hatte (31.), nutzte Bayern einen dilettantischen Abwehrfehler des Gastgebers. Bei einem Freistoß aus rund 35 Metern schließlich stellten sich „zu viele Spieler in die Mauer“ (Augenthaler) und produzierten damit auf der rechten Abwehrseite eine Unterzahl, die Demichelis zur Kopfballvorlage auf den lauernden Karimi nutzte (35.).

Nach weiteren Gegentoren durch den maschinenhaft effektiven Makaay (57. und 60.) verwandelte sich das Stadion endgültig in einen Ort mit Friedhofsatmosphäre; beim 2:5 durch Babic hatte schon ein Viertel der 22.500 Zuschauer diese Beerdigung einer Fußballelf verlassen.

Noch spektakulärer aber wirkt diese Schmach angesichts der Fallhöhe, die selbst produziert ist. Platz Eins bis Drei, so lautete das ambitionierte Ziel für diese Saison, unbeachtet der holprigen Vorbereitung. Selbstredend war nun das fabulöse 4:1 aus dem Vorjahr beschworen worden, und Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser hatte sich vor der Partie gar hinreißen lassen zu der aufreizenden Bemerkung, dass sie sich bei Bayer nach dem 4:1-Auftaktsieg in Frankfurt „auf der gleichen Augenhöhe“ mit Bayern wähnten. Darauf angesprochen, reagierte Kapitän Carsten Ramelow recht genervt: „Wir Spieler haben das nicht behauptet“, sagte er, was als deutliche Kritik an der Führungsebene zu verstehen war. Die Demut Ramelows war angebracht. Wenn eine Mannschaft, wie er anmerkte, nur „acht gute Minuten gehabt“ hat, wie Bayer in der Phase vor dem Anschlusstor Berbatows, der ist gut beraten, nicht weiter in Titelphantasien zu schwelgen. Zumal wenn Leistungsträgern wie Schneider, Roque Junior und Juan noch erkennbar die Fitness fehlt und die Abwehr einem Torso glich; speziell Athirson, der noch nach dem 1:5 einen rechten Flügelstürmer mimte, wird sicher ein Gespräch mit dem Trainer über Grundfragen der Taktik bevorstehen.

Dennoch wollte der Sportdirektor die ehrgeizigen Ziele nur bedingt korrigieren. Die Bayern seien, wenn sie so weiterspielten, sicher unerreichbar, sah Rudi Völler zwar ein, auch die Schalker besäßen einen Vorsprung. Dennoch will er „trotz dieser klaren Niederlage unter die ersten Drei kommen.“ Auch die Bayern, erinnerte er sich, seien im Vorjahr erst nach dem 1:4 in Leverkusen wachgerüttelt worden. Die Chuzpe, immerhin, ist Völler nicht verloren gegangen.