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Archiv-Artikel

Parkplatz der Erkenntnis

In tiefster Wissenschaftsdiaspora, auf einem Parkplatz in Huchting, wartet die „Forschungssammelstelle“ auf Exponate. Schließlich steckt unser aller Alltag voller Forschergeist und Experimente

Bremen taz ■ Immerhin 90 Quadratmeter hat die Wissenschaft der Asphaltwüste des Parkplatzes abgetrotzt. Zwischen „Dänischem Bettenlager“ auf der einen und „Roland-Center“ auf der anderen Seite steht die „Forschungssammelstelle“, zusammen mit drei naturwissenschaftlich orientierten Containern der „Stadt der Wissenschaft“. Während dort die Ergebnisse hoch spezialisierter Profis – etwa vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie – präsentiert werden, wartet die Sammelstelle auf Input von außen. Auf die Forschungserfahrungen jedweder PassantInnen, die ihre Experimente und Gedankenmodelle der geneigten Mitwelt zugänglich machen wollen.

„Aufgezeichnete Alltagsmysterien“ seien genauso willkommen wie „unvollständige Untersuchungen“ erklärt Elke Bippus, die im Brotberuf Professorin für „Theorie und Geschichte ästhetischer Praxis“ an der Bremer Hochschule für Künste bekleidet. Jetzt hat sie ihren Lehrstuhl für zwei Wochen gegen einen Pressholzsitz im Container eingetauscht. Aus dem Off liest eine Stimme verschiedene, oft widersprüchliche Definitionen von „Forschung“. Ein Regal wartet auf Exponate.

Schon nähert sich eine schwer bepackte Alltagsforscherin – die sich nur noch selbst als solche zu definieren braucht. Tut sie aber erstmal nicht. „Irgendwas forscht man doch immer“, beharrt Bippus. „Ja, wie viel Farbe man braucht“, erkennt die derart Aufgeklärte, und zieht mit ihren Lackdosen davon. Dann herrscht wieder Forschungsflaute. Aber nur im Container. Denn die Frau dort vorhin, mit den vollen Tüten, hat bestimmt gerade alle Sonderangebote durchforscht. Und der Herr knapp dahinter, der sieht so aus, als ob er jeden Morgen genau erkundet, welcher Schlips zur aktuellen Tagesform passt. Heute ein grauroter, aber die dahinter stehenden Kriterien teilt er uns nicht mit. „Am leichtesten kommt man ins Gespräch, wenn Kinder dabei sind“, erzählt Bippus.

Kann deren Forschung nicht ziemlich fies sein? Orientiert am Fassungsvermögen von Fröschen und der Teilbarkeit des Regenwurms? Bisher habe es moralisch einwandfreie Einlassungen gegeben, meint Sybille Bauriedl, die ebenfalls im Container sitzt. Ein Mädchen wolle seine selbst gesammelten Fossilien herbringen, ein Junge habe seine Salzwassermischungen erläutert – die den Zweck haben, ein rohes Ei nicht untergehen zu lassen. Ein anderer sei begeistert von seinen Assel-Beobachtungen gewesen, fällt Bippus noch ein. „Aber wir haben ihn nicht gefragt, was er mit ihnen gemacht hat.“

Drinnen im Center liegen seit Donnerstag Flyer aus, die alle Noch-nicht-ForscherInnen animieren sollen: „Auch Sie sind Teil der Stadt der Wissenschaft!“ Immerhin. Schon am nächsten Tag hat ein älterer Herr ein Bündel sorgfältig klassifizierter Federn vorbei gebracht. Als Alternative zur Präsentation ausgestopfter Balge, wie er im „Annahmeformular“ schreibt. „Die meisten denken erstmal an Naturwissenschaften“, erzählt Bauriedl. Eine ehemalige Biologin sei sicher gewesen: „Früher habe ich schon geforscht.“

Um dann zum Schluss zu gelangen: „Jetzt forsche ich jeden Tag, wie ich meine Kinder erziehen kann, ohne selbst dabei unterzugehen.“ Aber muss man jedes alltägliche Versuchs- und Irrtumverfahren Forschung nennen? „Wir wollen schon in Frage stellen, was wissenswert ist“, sagt Bauriedl. Wie Bippus ist die Geografin Mitglied einer Hamburger Künstler- und WissenschaftlerInnengruppe, die sich gegen die Ökonomisierung der offiziell geförderten Wissenschaft wendet und die Sammelstelle konzipiert hat. Der programmatische Name: „dfg[3]“ – anspielend auf die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ und deren Dominanz im Wissensbetrieb.

Nun also soll von Huchting ein offeneres Wissenschaftsverständnis in die Gesellschaft dringen. Zwar haben in der Hauptsache forschende Autofahrer die Chance, ihre Erkenntnisse publik zu machen, aber das sind ja nicht wenige. Nach dem Containerbesuch erkennt man sie am stolz getragenen „Ich forsche selbst!“-Button.

Henning Bleyl, Jakob Diehl

Geöffnet bis Mittwoch (11–19 Uhr). Am Donnerstag beginnt am selben Ort die „Forschungsjagd“ der Hochschule für Künste