Das große Missverständnis

Auf dem Weltjugendtag will Rom zeigen, dass sich mit konservativem Geist die Jugend noch faszinieren lässt. Doch die reist nicht wegen, sondern trotz des Papstes nach Köln

Die Menschen winken einem Papst zu, dem sie selten folgen. Dies ist auch eine zynische Veranstaltung

Etwa 400.000 junge Leute aus aller Welt werden ab morgen zu dem katholischen Massenevent Weltjugendtag in Köln strömen, zur Abschlussmesse am Sonntag mit Papst Benedikt XVI. womöglich eine Million. Als Avantgarde seiner Werte sieht der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, diese Jugendlichen: Wenn die ältere Generation behaupte, die Mädchen hätten alle die Pille dabei und die Jungen Kondome, wolle sie nur ihren eigenen „verluderten Lebensstil“ rechtfertigen, polterte Meisner jüngst. „Die Jugend ist besser als wir.“ Vom Weltjugendtag werde „ein positiver Ruck durch unsere Gesellschaft gehen“.

So hat der schäumende Kardinal aus Köln treffend zusammengefasst, was die Absicht des Vatikans und seine treuen Vasallen in Deutschland für den Weltjugendtag ist: Der Welt soll die große Versöhnung zwischen der Jugend und den alten Herren in Rom vorgespielt werden. Die seit Johannes Paul II. selig immer weiter rückwärts schreitende Weltkirche will, zumindest nach dem Willen der Kurie, demonstrieren, dass ihr erzkonservatives Programm noch immer – oder wieder – populär ist.

Zugleich soll es auch ein Signal für die angeblich dekadenten Länder des Nordens und Westens sein und beweisen, dass man mit der katholischen Retro-Agenda auch Massen gewinnen kann. Die Moral- und Sexuallehren der Herren Wojtyla und Ratzinger werden als etwas Hippes dargestellt, dem auch heute noch viele junge Leute gern zu folgen bereit sind. Dabei kommt es natürlich einzig auf die Fernsehbilder an, die den Papst zujubelnde junge Menschen zeigen. So professionell ist der Vatikan – war es übrigens schon immer. Nicht zufällig wird das Wort „Propaganda“ auf die vor fast 400 Jahren gegründete „congregatio de propaganda fidei“, der Missionsbehörde im Vatikan, zurückgeführt.

So weit, so schlecht. Bleibt die Frage: Ist den jungen Menschen, die nach Köln strömen, das Ziel des Vatikans bewusst? Unterstützen sie tatsächlich sein reaktionäres Programm und wollen sie wirklich den „verluderten Lebensstil“ der Gesellschaften verändern, in denen sie leben?

Die Antworten darauf sind nicht leicht, denn bei bis zu einer Million meist junger Menschen gibt es solche und solche: Manche, die genau nach Meisners Gusto funktionieren und den Oberhirten mit seinem Programm schätzen. Andere kommen nach Köln, um an einem internationalen Massenevent der Jugend teilnehmen zu können, Menschen anderer Nationen kennen zu lernen und Spaß zu haben. Die meisten aber treibt wohl der Glaube an den einen Gott und seine Liebe, ihr persönlicher Glaube allerdings, nicht der Roms. Diesen Glauben wollen sie in Gemeinschaft feiern. Sie treibt auch die Sehnsucht, einmal nicht mehr allein zu sein, ernst genommen zu werden unter gleich und ähnlich Denkenden. Wer nie manch magische Momente auf Katholiken- und Kirchentagen erlebt hat, wird dies nur schwer verstehen.

Ähnliches war bei den vorherigen Weltjugendtagen mit dem im April verstorbenen Papst zu beobachten. Auch dies waren gnadenlose Inszenierungen für die Kameras der Welt. Allerdings vermochte der Greis ihnen durch sein Charisma, seinen Charme und seine Courage im Angesicht von Tod und Leiden Leben einzuhauchen. Der Menschenfischer nahm es offenbar gelassen hin, dass die jungen Pilgerinnen und Pilger nach dem Weltjugendtag in Rom im Jahr 2000 eine Wiese voll gebrauchter Kondome hinterließen.

Auch liberalere Kardinäle kann dies nicht erregen. „Die Mädchen auf dem Petersplatz, die dem Papst zujubeln, haben die Pille in der Tasche. Das wissen wir schon lange“, sagte der Bischof von Mainz, Karl Kardinal Lehmann, neulich. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz will sich offensichtlich nicht dauernd statt mit dem Evangelium mit Pillen und Kondomen beschäftigen – er betrachte diese Fragen der Sexualethik als „periphere Dinge“, sagt er. Ganz anders Meisner, der bei diesen richtig heiß zu werden scheint. Zu fragen wäre an dieser Stelle, wen der anfangs zitierte Kardinal Meisner mit seiner Aussage eigentlich im Blick hatte, als er von der älteren Generation sprach, die ihren eigenen „verluderten Lebensstil“ rechtfertigen wolle. Doch nicht etwa seinen Mainzer Mitbruder? Es geht hier auch um einen Machtkampf innerhalb des deutschen Katholizismus, welche Richtung obsiegt.

Ratzinger jedenfalls fehlt wie Meisner jede Gelassenheit bei dem Thema – er soll im vertrauten Kreis angesichts der Kondomwiese des Weltjugendtages gesagt haben: „Die brauchen wir nicht, diese Jugendlichen.“ Dennoch reist er nun nach Köln, um sich wie sein Vorgänger und Idol von genau solchen Jugendlichen feiern zu lassen. Das werden diese brav tun – wenn auch voraussichtlich etwas weniger als Papst Johannes Paul II. Schließlich ist ein deutscher Theologieprofessor weit weniger eindrucksvoll als ein alter Kämpfer gegen Kommunismus, Kapitalismus und Krieg, dem in diesem Kampf auch einige Siege zufielen.

Die Moral- und Sexuallehren Wojtylas und Ratzingers werden als etwas Hippes dargestellt

So winkt Benedikt XVI. Menschen zu, denen er eher nicht traut. Die Menschen winken einem Papst zu, dem sie selten folgen. Der Weltjugendtag ist auch eine verlogene, leicht zynische Veranstaltung. Und einen Hauch Tragikomik hat er auch. Das Ganze hat etwas von einem großen Missverständnis. Die hunderte Bischöfe in Köln fühlen sich durch die jungen Jubler bestätigt, sind es allerdings kaum. Die Jugendlichen erträumen sich fünf Tage lang eine Kirche, die selten so ist wie dort am Rhein.

Kann man trotzdem guten Gewissens hingehen? Wer mit Jugendlichen über ihre Motive für ihre Reise nach Köln redet, kommt schnell zu dem Schluss, dass man das durchaus kann, auch wenn man die Herren Ratzinger und Meisner eher ablehnt. Denn angesichts der echten Begeisterung der jungen Leute für die Sache Jesu erscheinen einem die Fragen nach den (kirchen-)politischen Zielen der Massenveranstaltung ziemlich schal. Und natürlich wird es sie auch in Köln geben, die katholischen Menschen und Gruppen wie etwa die Missionszentrale der Franziskaner und die Vereinigung Sant ’Egidio mit ihrem befreiungstheologischen und pazifistischen Engagement, die die Welt zu einem besseren Ort machen. Auch sie nutzen den Weltjugendtag auf ihre Weise. Sie gehen nicht wegen, sondern trotz des Papstes und seines Kölner Wadenbeißers dorthin.

Vielleicht hat der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner, Recht, wenn er davon spricht, es gebe einen „Megatrend der Respiritualisierung“, und die jungen Papstjubler seien eine „kulturelle Avantgarde“, deren Spiritualität aus der Säkularität komme, nicht aus der Konservativität: „Der Himmel soll sich wieder auftun über einem banalen Arbeits- und Genussleben.“ Die frommen jungen Menschen suchen etwas in Köln, was sie in dieser nüchternen, individualisierten und kalten Welt selten finden: Gemeinschaft, Glaube und Gefühle. Wo läge der Sinn darin, ihnen diese Freude zu verleiden? Langfristig steht Kardinal Meisner auf verlorenem Posten. Der Weltjugendtag wird ihm seine reaktionären Truppen nicht liefern. PHILIPP GESSLER