: Stoibers Metzger und Gysis Rinderzüchter
Edmund Stoiber hat sich bei seiner neuerlichen Tiefenanalyse der ostdeutschen Wählerschaft und ihrer politischen Verführer in mehrfacher Hinsicht vertan. Dass sich nur die dümmsten Kälber ihre Metzger selber suchen, ist wissenschaftlich natürlich durch nichts belegt – aber Schwamm drüber. Völlig daneben liegt Stoiber allerdings, wenn er – neben Oskar Lafontaine – ausgerechnet Gregor Gysi als Metzger bezeichnet. Gysi verkörpert, kuhtechnisch gesehen, so ziemlich das komplette Gegenteil: Er ist gelernter Rinderzüchter. Diese Ausbildung sorgt für eine proletarische Note in Gysis ansonsten bürgerlichem Lebenslauf und war immer für ein paar Anekdoten aus der DDR-Landwirtschaft gut. Dass er aber auch tatsächlich melken kann, hat Gysi in den 90er-Jahren bei Wahlkampfauftritten in so manchem Kuhstall bewiesen.
Man sollte Stoiber stecken, dass der Menschenverführer Gysi sein Handwerkszeug als Rinderzüchter ausgerechnet der DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker verdankt – das böte dem Bayern neuen Stoff für seine aufrüttelnden Botschaften. Erich Honeckers Ehefrau kam in den 60er-Jahren auf die Idee, dass jeder Oberschüler der DDR neben dem Abitur gleichzeitig einen Beruf erlernen sollte, die Intellektuellenkinder sollten ein tieferes Verständnis für die gesetzmäßigen Interessen der Arbeiterklasse entwickeln. So opferten die Oberschüler einen Tag der Woche dem Proletariat. Von den Ausbildungsberufen, die zur Auswahl standen, entschied sich Gysi, warum auch immer, für den des KfZ-Schlossers. Die Autoschlosserei, die er ausgewählt hatte, schickte ihn jedoch wieder nach Hause, weil er noch nicht 16 Jahre alt war. In den Zwischenzeit waren fast alle anderen Berufe vergeben. Auf die Frage seines Schuldirektors, ob er sich denn für Tiere interessiere, antwortete er ohne Argwohn mit Ja, schließlich gab es in seiner Kindheit einen Hund in der Familie. Das träfe sich gut, sagte der Direktor, sie hätten noch einen Platz bei den Rinderzüchtern frei.
So lernte Gregor Gysi, ganz im Sinne Margot Honeckers, die Bauern besser zu verstehen. JENS KÖNIG