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Wo die Töne ins schwarze Loch segeln

Dreierlei Kombinationen von elektronischen und akustischen Klängen gab es am Mittwoch in der St.-Elisabeth-Kirche zu hören

Von Robert Mießner

Wo eigentlich gehen die Töne hin, wenn ein Konzert zu Bett geht? Diese Frage drängte sich am Mittwochabend in der Elisabethkirche in Berlin-Mitte unweigerlich auf, als das junge, 2017 gegründete Berliner Label Feral Note zu einem Dreierkonzert geladen hatte, das die Zeit zwischen grauer Dämmerung und blauer Nacht umfasste. Das Konzert geriet zu einem schönen Beispiel, wie sich klassische akustische Instrumente mit moderner Elektronik verzahnen lassen, und was da zu hören war, war allerhand und geriet bestrickend. Feral Note hatte im Kirchenschiff ein quadrophonisches Lautsprechersystem aufgebaut, die Musik kam also aus vier Ecken; das Publikum saß im Kreis, die Musiker nahmen in seiner Mitte Platz.

Den Anfang machte der Alte-Musik-Interpret Liam Byrne auf der Viola da Gamba, einem Saiteninstrument des 17. Jahrhunderts, eines, das in seinen Worten ein Hybrid aus Gitarre und Cello darstellt. Im 21. Jahrhundert begleitet Byrne sein Ins­trument mit einem Effektboard und einer elektronischen Klaviatur, dergestalt, dass sich Klangflächen überlagern, miteinander korrespondieren, bis irgendwann nicht mehr sicher ist, was da Frage und Antwort, Stimme und Echo ist. Im Grunde ist das auch sekundär. Einmal klang die Viola gar wie ein Akkordeon.

Byrne hatte sein im Frühjahr auf dem Label Bedroom Continuity erschienenes Album „Concrete“ mitgebracht, eingespielt hat er es in Reykjavík und London. „Concrete“, Beton: Byrne sagt über den Albumtitel, dass er ganz klar den Baustoff meint, der landläufig als Signum des Brutalismus und der Moderne gilt. Und an einer Stelle kriegte der Stein doch glatt einen Riss, dann nämlich, als kurz die Technik versagte. Byrne quittierte es mit einem Lächeln, Feral Note vertreten die Labelphilosophie des musikalischen Moments, nicht die der Perfektion.

Den Mittelteil des Abends bestritt der Pianist Hüseyin Evirgen unter seinem Alias Magna Pia. Evirgen hatte das Interieur seines Instruments mit Kontaktmikrofonen und Objekten ausstaffiert und entlockte ihm Klänge, die einmal wuchtig, dann wieder perlend geraten konnten: Hammerklavier und Cembalo sozusagen. Hinzu kamen elektronische Rhythmuspatterns. Magna Pias Feral Note-Album heißt „Daiuna“, er sagt über den Titel: „Das griechische Wort daimōn lässt sich über das persische dēw zu dem vermutlich sumerischen Original DA-IA-U-NA zurückverfolgen, es meint ‚Macht über die Fruchtbarkeit‘. Und weiter: „Das hebräische Wort für krank, ‚dawah‘, korrespondiert im Arabischen mit dem für Medizin.“ Die Doppeldeutigkeit hat Magna Pias Platte inspiriert, sein Konzertteil aber überzeugte auch ohne dieses Wissen.

Nach einer kurzen Pause spielte dann das Duo Robert Lippok und Kaan Bulak Stücke ihres in einer Künstleredition von 100 Exemplaren erschienen Albums „Kubus“: Bulak an einem abermals präparierten Klavier, Lippok an einem Instrumententisch, auf dem Elektronik und Natur mustergültig zusammenfanden. Da lag ein Astbündel neben den modernen Klang­erzeugern. Lippoks und Bulaks Konzert wurde die impressionistischere der drei Darbietungen, und sie gipfelte in einem schamanistisch anmutenden Ritual: Zum Ende hin nämlich schnappte sich Lippok sein Astbündel und klopfte die Kirchenpfeiler aus. In einem von ihnen war eine Öffnung ausgespart. Und in einem, sagen wir, ungarischen, Zeichentrickfilm der Achtzigerjahre wären die Töne wie von Zauberhand in dieses schwarze Loch gesegelt und hätten sich Gute Nacht gewünscht. Wären, hätten! Denn wir haben sie mit nach Hause genommen.

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